Berlin (energate) - Deutschland wird nach aktuellen Berechnungen der Politikberatung Agora Energiewende sein Klimaschutzziel für 2020 drastisch verfehlen. Auf dem aktuellen klimapolitischen Pfad würden die CO2-Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 demnach nicht wie angestrebt um 40 Prozent sinken, sondern lediglich um 30 bis 31 Prozent. "Will man wenigstens noch in die Nähe des 40-Prozent-Ziels kommen, ist ein unmittelbar im Koalitionsvertrag verankertes 'Sofortprogramm Klimaschutz 2020' unumgänglich", mahnen die Politikberater. Dieses müsse im ersten Halbjahr 2018 umgesetzt werden, um noch Wirkung zu entfalten.
Die Agora-Studie kommt in ihren Modellberechnungen zu dem Ergebnis, dass der Klimaschutz-Projektionsbericht der Bundesregierung vom April die Entwicklung der CO2-Emissionen falsch einschätzt. Die Bundesregierung gehe in ihrer Projektion davon aus, dass dank der bereits beschlossenen Maßnahmen die CO2-Emissionen bis 2020 um 35 Prozent sinken werden. Agora berechnet dagegen, dass 50 Mio. Tonnen CO2 mehr emittiert werden als in der Regierungsprognose. Das Klimaziel würde also nicht nur um fünf, sondern um bis zu zehn Prozent verfehlt.
Prognosefehler der Bundesregierung
Die deutlich höheren CO2-Emissionen resultieren laut Agora daraus, dass Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum bis 2020 deutlich höher ausfallen, als von der Regierung prognostiziert. Statt der angesetzten 80,6 Mio. Menschen summiere sich die Wohnbevölkerung laut Statistischem Bundesamt auf 82,8 Mio. Einwohner. Die Preise für CO2, Diesel, Benzin und Heizöl bewegten sich dagegen auf deutlich niedrigerem Niveau als im Projektionsbericht angesetzt. Der rechnete mit einem CO2-Preis von 15 Euro im Jahr 2020, aktuell liege er bei fünf bis sechs Euro. Das habe zur Folge, dass fossile Kraftwerke in Deutschland mehr laufen. Der Strom-Exportsaldo werde daher 2020 auf dem heutigen Niveau von 50 Mrd. kWh liegen und nicht auf die Regierungsprognose von 40 Mrd. kWh sinken.
Ähnlich deutlich ist die Diskrepanz beim Ölpreis: Die Regierungsprognose sieht ihn 2020 bei 50 Euro/MWh, aktuell liegt er bei 16 Euro. Dass er auf diesem Niveau bleibe, sei deutlich realistischer als ein Anstieg auf 50 Euro, meint Agora Energiewende. Entsprechend niedriger werden die Preise für Diesel und Benzin sein. Das lasse den Spritverbrauch im LKW- und PKW-Verkehr steigen. Konservativ geschätzt summiere sich das auf drei bis fünf Mio. Tonnen CO2, so die Studienautoren. Im Gebäudesektor hat der niedrige Ölpreis zur Folge, dass der Austausch von Ölkesseln gegen CO2-ärmere Biomasse oder Gasheizkessel stagniert. Die aktuelle Niedrigzinsphase verstärke diese Tendenz, da sie die Anreizwirkung der KFW-Kreditförderprogramme für Gebäudesanierungen konterkariere.
Abschied von der Vorreiterrolle
Die Politikberater erinnern daran, dass Deutschland sich seit 1995 in der internationalen Klimapolitik hervorgetan habe. Zuletzt habe sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihren Sommerinterviews zu den Klimazielen bekannt. Dafür erfahre Deutschland viel Anerkennung. Die klimapolitische Vorreiterrolle bringe aber auch Aufmerksamkeit für die Schwächen der deutschen Klimapolitik mit sich. Agora Energiewende verwies etwa auf die von US-Energieminister Rick Perry im April geäußerte Kritik, die Bundesregierung rühme sich im G7-Kontext ihrer Ziele bei der Energiewende, wo doch die Emissionen in Deutschland nicht sinken. /gk