Wien/Essen (energate) - Im Interview spricht Jürgen Wahl, Vorstand der Wiener Energiebörse Exaa, über die weiterhin hohe Volatilität im Handel und den starken Trend der Automatisierung - aber auch darüber, dass die Energiewende inzwischen an ihre Grenzen stößt und die regulatorischen Eingriffe deswegen immer weiter zunehmen. energate hat mit dem Börsenchef am Rande der Fachmesse E-world gesprochen.
energate: Herr Wahl, bei unserem letzten Interview vor anderthalb Jahren waren wir mitten in der Energiekrise. Deren Nachwirkungen flauen immer mehr ab. Hat sich Ihr Geschäft wieder normalisiert?
Wahl: Normalisiert ist ein relativer Ausdruck. Wichtig ist, dass in den Märkten inzwischen eine Beruhigung eingetreten ist und sich die Preisniveaus, die zwischenzeitlich ja an Irrationalität grenzten, wieder normalisiert haben. Das war notwendig und wichtig. Die Volatilität ist aber weiterhin groß. Das ist natürlich weniger ein Phänomen der Energiekrise, der ausschlaggebende Faktor ist hier eher das Wetter und der daraus resultierende Erzeugungsmix. Dadurch ergeben sich für Händler wieder mehr Spielräume und Handlungsoptionen.
energate: Welche Trends sehen Sie im Handel?
Wahl: Was sich verschärft hat - auch bedingt durch die Coronazeit - ist die Automatisierung. Die Digitalisierung hat sich im Energiemarkt ganz allgemein etabliert und auch der Stromhandel wird immer digitaler. API-Schnittstellen sind ein Megatrend. Bots handeln beispielsweise im Intradayhandel die Überhänge weg.
Die Systeme werden immer weiter so eingestellt, dass man manuell immer weniger eingreifen muss. Das reduziert einerseits den Aufwand, die persönliche Handelsnote geht aber verloren. Es stellt sich die Frage, wie die Rolle des Stromhändlers in einigen Jahren aussehen wird und ob die menschliche Komponente im Handel überhaupt noch eine Rolle spielen wird.
energate: Was sagen Ihre Kunden dazu? Wie groß ist die Akzeptanz für vollständig automatisierte Handelsprozesse?
Wahl: Eines ist ganz klar: Wir können die fortschreitende Automatisierung nicht rückgängig machen. Ich sehe aber schon, dass auch der menschliche Faktor weiterhin ein sehr hohes Gewicht hat und geschätzt wird. Der Trend geht aber ganz klar in Richtung Automatisierung.
energate: Welche Folgen hat das für die Aktivitäten der Exaa?
Wahl: Wir haben natürlich auch angefangen, zu digitalisieren. Wir beschäftigen inzwischen einen Mitarbeiter, der sich nur noch darum kümmert. Das hat zwei zentrale Gründe: Zum einen geht es darum, Prozesse zu optimieren und zu straffen, und damit Aufwand und Kosten zu sparen. Zum anderen geht es auch darum, die Fehleranfälligkeit zu minimieren.
energate: Automatisierung ist ein Megatrend im Handel, ein anderer ist, dass der Markt immer weiter durch Regulierung eingeschränkt wird.
Wahl: Ja, das ist leider so. Vorstöße, die gerade auch während der Energiekrise aus Brüssel kamen, haben uns aus Marktsicht überhaupt nicht gepasst. Ideen, die von dort in die Öffentlichkeit drängten, hätten den Handel alternativ zum Market Coupling verhindert. Hier mussten wir sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, um die Flexibilität beizubehalten, die wir ja dringend brauchen.
Das haben wir im Sommer 2022 gesehen, als es angesichts des Ausfalls französischer Atomkraftwerke und extrem niedriger Wasserführung massive Engpässe bei der Erzeugung gab. Hier waren die Spotmärkte der einzelnen Börsen als kurzfristige Beschaffungsmöglichkeit Gold wert. Das Marktsystem, wie wir es seit mehr als 20 Jahren aufgebaut haben, hat funktioniert. Es gab keine Blackouts. Deshalb wäre es aus meiner Sicht sehr leichtfertig, davon Hals über Kopf abzurücken.
energate: Trotzdem sehen wir immer stärkere regulatorische Eingriffe.
Wahl: Klar, wir sehen eben immer öfter, dass die Energiewende an ihre Grenzen stößt. Es geht nicht ohne Regelenergie. Und je mehr Erneuerbare in den Markt drängen, desto mehr Regelenergie benötigen wir. Daher kann man beispielsweise einen Gasausstieg, so sehr er mit Blick auf die Dekarbonisierung vielleicht wünschenswert erscheint, nicht von heute auf morgen vollziehen.
Dasselbe gilt für den Netzausbau: Ich kann nicht beliebig viel Erneuerbare ans Netz bringen, wenn die Netze den Strom nicht abtransportieren können. Wir brauchen eine integrierte Planung. Das hat in der Vergangenheit zu wenig stattgefunden, deshalb haben wir heute Probleme, die womöglich vermeidbar gewesen wären.
energate: Dazu gehört aus österreichischer Sicht definitiv auch die Trennung der gemeinsamen Strompreiszone mit Deutschland. Diesen Schritt haben Sie in der Vergangenheit deutlich kritisiert. Auf EU-Ebene gibt es inzwischen aber Pläne zu einer weitergehenden Aufteilung.
Wahl: Meine Antwort darauf ist einfach: Netzausbau. Wenn die Netze ausgebaut sind, muss man keine Strompreiszonen verkleinern. Eigentlich wollten wir ja ursprünglich einen europäischen Strombinnenmarkt haben. Strompreiszonen zu verkleinern, ist das genaue Gegenteil davon. Die Trennung der deutsch-österreichischen Strompreiszone hat uns als Börse natürlich wehgetan. Deshalb sind wir grundsätzlich gegen solche Eingriffe und setzen auf Lösungen, die den Handel stärken, statt ihn zu schwächen.
energate: Trotz mancher Widrigkeiten ist es Ihnen gelungen, mit der Exaa wieder einen Wachstumskurs einzuschlagen. Was ist der Treiber dafür?
Wahl: Das sind in erster Linie unsere beiden Spread-Produkte im Rahmen unserer 10:15-Uhr-Auktion, mit denen wir auch in neue Märkte gehen. Diese Auktion ist unser USP. Damit fangen wir an und wollen dann die 12-Uhr-Auktion jeweils nachziehen. Das tun wir in den Niederlanden, in Belgien und in Frankreich. Damit sind wir dann in der gesamten CWE-Region aktiv und hoffen so, den Stromhandel aktiver zu gestalten und interessanter zu machen - und zugleich dem zunehmenden Trend der Regulierung zu trotzen.
Das Interview führte Christian Seelos.