Brüssel (energate) - Die EU-Kommission sieht angesichts des Kriegs in der Ukraine die Chancen für blauen Wasserstoff schwinden. Das wurde kürzlich bei einer Anhörung der stellvertretenden Generaldirektorin der Energieabteilung der EU-Kommission, Mechthild Wörsdörfer, vor dem Energieausschuss des EU-Parlaments deutlich. Die neue Gasverordnung und -richtlinie hatte die EU-Kommission im Dezember vorgestellt, enthalten ist unter anderen ein europäischer Markt für Wasserstoff, aber auch Unbundling-Vorschriften für Wasserstoffnetze (energate berichtete). "Die Rolle von Erdgas muss kleiner werden", betonte Wörsdörfer. Das werde wohl allein aufgrund der hohen Erdgaspreise beschleunigt. Blauer Wasserstoff wird in ihren Augen bei der Dekarbonisierung des Gasmarktes keine große Bedeutung mehr haben.
"Der Krieg in der Ukraine wird unsere Arbeit am Dekarbonisierungspaket des Gasmarktes beeinflussen", stimmte ihr der EU-Abgeordnete Jerzy Buzek (EVP) zu. Der Pole ist Berichterstatter für die neue EU-Gasverordnung. Als Folge des Einmarsches Russlands in die Ukraine hatte die EU-Kommission am 8. März eine neue Strategie mit dem Namen "RepowerEU vorgelegt. Erklärtes Ziel ist, dass die EU bis Jahresende ihre Erdgasimporte aus Russland um zwei Drittel reduziert (energate berichtete). "Wir jonglieren derzeit mit den drei Zielen Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Erschwinglichkeit", erläuterte Wörsdörfer. Die "RepowerEU"-Mitteilung stärke grundsätzlich die europäische H2-Strategie. Bis 2030 sollen 15 Mio. Tonnen grüner Wasserstoff zusätzlich zu den bisher geplanten 5,6 Mio. Tonnen in der EU erzeugt oder importiert werden. 10 Mio. Tonnen davon sollen aus Importen stammen, weitere 5 Mio. Tonnen will Europa selbst produzieren. Die Kommission werde den Rechtsrahmen weiterentwickeln, um einen europäischen Wasserstoffmarkt zu fördern, heißt es weiter.
Gasdekarbonisierungspaket in Teilen überholungsbedürftig
Der Krieg hat Teile der geplanten Vorschriften zur Gasversorgungssicherheit und -speicherung "hinfällig" gemacht, so Wörsdörfer. Hierfür hatte die EU-Kommission keinen separaten Legislativvorschlag entworfen, das heißt die Gasversorgungssicherheitsverordnung (Gas-SOS) aus dem Jahre 2017 nicht geändert. Dies werde die EU-Kommission nun aber Ende März/Anfang April tun, kündigte sie an.
Wörsdörfer stellte klar, dass die EU-Kommission an den horizontalen und vertikalen Entflechtungsvorschriften in der neuen Gasrichtlinie festhalten werde. Demnach dürfen Fernleitungsnetzbetreiber nur temporär bis 2030 H2-Netze betreiben, ohne eigentumsrechtlich entflochten sein zu müssen. Bis dahin könnten sie Eigentümer der H2-Netze bleiben, indem sie deren Betrieb auf einen unabhängigen Systembetreiber (ISO) oder unabhängigen Transportnetzbetreiber (ITO) übertragen. Der für die Gas-Verordnung zuständige Berichterstatter Jerzy Buzek begrüßte dies, indes nicht der für Gas-Richtlinie zuständige Berichterstatter Jens Geier (SPD). Er sieht dadurch die deutschen Stadtwerke benachteiligt.
Deutscher Berichterstatter kritisiert Unbundling-Vorschriften
"Ich komme als EU-Abgeordneter nicht umhin, die Vorschläge auch durch die Brille in meinem Heimatland zu sehen", so Geier. Er beanstandete zwei Artikel in der Gas-Richtlinie zur vertikalen und horizontalen Entflechtung von H2-Netzbetreibern (Artikel 63 bzw. 63). "Die Verteilnetzbetreiber in Deutschland sind sehr oft Unternehmen im Besitz von Kommunen, die heute mit ihren Einnahmen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge beitragen." Er befürchte, dass sie zum eigentumsrechtlichen Unbundling gezwungen würden, ohne die in der Richtlinie enthaltenen Ausnahmen in Anspruch nehmen zu können, wie diese für Verteilnetzbetreiber in staatlicher Hand gelten, etwa die in Frankreich und den Niederlanden. Das werde in Deutschland zu einer Doppelung der lokalen Infrastrukturen mit entsprechenden Kosten führen.
Somit könnten entflochtene H2-Netzbetreiber in Deutschland keine Synergie nutzen. "Das bedeutet, dass gewerbliche und private Kunden einerseits das schrumpfende Erdgasnetz finanzieren müssen, und andrerseits die Kosten für die ersten H2-Kunden unnötig hoch sein werden." Geier appellierte an die EU-Kommission, sich die zwei Artikel nochmals genauer anzusehen. Wörsdörfer schloss angesichts der vielen Stadtwerke in Deutschland nicht aus, Geiers Forderung nachzukommen: "Mag sein, dass wir das in Betracht ziehen." /rl