Nach fast sechs Jahren an der Spitze des Dortmunder Energieversorgers DEW21 übernimmt Heike Heim zum 1. Juni den Vorstandsvorsitz der Stadtwerkeholding DSW21. Im Gespräch mit energate blickte sie auf das abgelaufene Geschäftsjahr zurück.
energate: Frau Heim, Ihr letztes Jahr an der Spitze von DEW21 vor dem Wechsel zur Stadtwerkeholding hatte es in sich. Was waren aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen 2022?
Heim: Die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine haben das Energiejahr 2022 dominiert. Unsere riskante einseitige Abhängigkeit von fossilen Energieimporten und das bis dato nie diskutierte Thema Versorgungssicherheit sind 2022 in den Fokus der gesellschaftlichen und politischen Aufmerksamkeit gerückt. Spätestens mit Einstellung der Gaslieferungen über Nordstream 1 Ende August 2022 wurde die Angst vor einer Gasmangellage im Winter zur realen Gefahr.
energate: Was wurde 2022 zur zentralen Herausforderung für DEW21?
Heim: Ich erzähle Ihnen jetzt wahrscheinlich nichts Überraschendes, wenn ich die exorbitante Preisrallye an den Energiemärkten mit den damit einhergehenden Herausforderungen für Handel, Risiko- und Liquiditätsmanagement als eine der zentralen Herausforderungen des Jahres 2022 nenne. Die Energiepreise erreichten im vergangenen Jahr Rekordhöhen mit teils dramatischen Folgen für private Haushalte und Unternehmen. Sie waren Haupttreiber der allgemeinen Inflation, die auf über 10 Prozent anstieg. Der Informationsbedarf und die Unsicherheiten auf Seiten der Kund*innen hat deutlich zugenommen: Wir hatten im Jahr 2022 mehr als 800.000 Servicekontakte und insgesamt wurden mehr als 1,25 Mio. Kund*innenbriefe verschickt.
2022 bestimmte das kurzfristige Krisenmanagement die politische Agenda, teils auf Kosten wichtiger klimapolitischer Weichenstellungen. Gleichzeitig hat das neue Jahr - nicht zuletzt preisgetrieben - eine neue Ära für die Transformation zur Klimaneutralität eingeläutet. Die Nachfrage nach Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz ist stark gestiegen. Und wer hätte gedacht, dass dies sowohl sicherheitspolitische als auch klimapolitische Ziele beinhaltet?
energate: Im Energievertrieb wollte DEW21 mit der Marke Stadtenergie bundesweit neue Wege gehen. Wie behaupten sich Stadtenergie und DEW21 in der Krise?
Heim: Die Energiekrise war schon für etablierte Versorgungsunternehmen eine echte Herausforderung, für ein junges, schnell wachsendes Unternehmen mit Start-up-Charakter wie die stadtenergie war die Krise eine echte Bewährungsprobe. Diese hat die stadtenergie erfolgreich gemeistert und konnte zum Jahresabschluss 2022 einen mittleren fünfstelligen Kund*innenbestand verzeichnen. Das Unternehmen wächst planmäßig im Umsatz und konnte das Geschäftsjahr 2022 mit einem knapp 2 Mio. Euro über Plan liegenden Ergebnis abschließen. In der Krise hat sich gezeigt, wie wertvoll der digitale Geschäftsaufbau ist, da er Reaktionen auf Marktentwicklungen mit hoher Flexibilität und kurzer Umsetzungsdauer ermöglicht.
energate: Wagen Sie eine Prognose, wie es bei den Preisen weitergeht?
Heim: DEW21 hat in der Energiekrise einmal mehr ihre Verantwortung als Grund- und Ersatzversorger unter Beweis gestellt und war dank einer abwägenden und vorausschauenden Beschaffungspolitik in der Lage, die Versorgung für ihre Kund*innen jederzeit zu sichern. Dies haben wir nicht zuletzt unserer langfristigen und diversifizierten Beschaffungsstrategie zu verdanken, mit der wir die Risiken im Sinne unserer Kund*innen bestmöglich reduzieren.
Zwar mussten auch wir die Preise für unsere Kund*innen anpassen, haben dabei jedoch die gestiegenen Beschaffungskosten nicht vollumfänglich durchgereicht. Aktuell gehen wir davon aus, dass wir die Preise in der Grundversorgung stabil halten können. Die solide operative Performance des Vertriebs- und Handelsgeschäfts hat auch dazu beigetragen, dass wir im Jahr 2022 in DEW21 GmbH ein über Plan liegendes Ergebnis in Höhe von 54,8 Mio. Euro erzielt haben.
energate: Wie wirkte sich das auf das operative Vertriebsgeschäft aus?
Heim: Aus Serviceperspektive hat die Energiekrise das vertriebliche Geschäftsmodell beider Unternehmen an die Grenzen gebracht. Die teils sehr kurzfristigen, regulatorischen Eingriffe haben zu hohen technischen Entwicklungsaufwendungen von Standardprozessen geführt.
Doch auch abseits der Energiekrise werden weiterhin Synergien genutzt. So ist die Stadtenergie weiterhin Vorreiter für DEW21, wenn es um den Einsatz neuer IT-Lösungen geht. So wird DEW21 ebenfalls die Powercloud einführen und kann dabei auf den Erfahrungen der Stadtenergie aufsetzen.
energate: DEW21 und die Stadt Dortmund wollen bis 2035 klimaneutral werden. Wie wirkt sich die Energiekrise auf diese Klimaschutz- und die Effizienzziele aus?
Heim: Die Energiekrise hat nicht zuletzt gezeigt, dass ein deutlich beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien notwendig ist, um den Bürger*innen und Unternehmen eine sichere und wettbewerbsfähige Versorgung bieten zu können. Nicht nur auf Seiten unserer Kund*innen spüren wir eine deutlich gestiegene Nachfrage hinsichtlich dezentraler und klimafreundlicher Versorgung. Auch wir als Unternehmen haben - trotz der Herausforderungen im vergangenen Jahr - konsequent in den Ausbau der klimafreundlichen Energieerzeugung und Wärmeversorgung investiert.
energate: Wie sieht das in Zahlen aus`?
Heim: Aktuell beträgt die regenerative Erzeugungsleistung von DEW21 pro Jahr 148 MW Leistung und knapp 280 GWh, dabei macht die Windkraft an Land einen wichtigen Baustein unseres Portfolios aus. Nach Fertigstellung des aktuell im Bau befindlichen Windparks in Hankensbüttel werden wir bundesweit 70 Windkraftanlagen betreiben, die rein rechnerisch 190.000 Bürger*innen versorgen und 188.000 Tonnen CO2 einsparen können.
Aber auch Freiflächen-PV-Anlagen gewinnen für uns an Bedeutung und wir haben 2022 unseren ersten PV-Park mit rund 3 MW Leistung erworben. Beim Aufbau einer klimafreundlichen Wärmeversorgung in der Dortmunder Innenstadt haben wir ebenfalls einen wichtigen Meilenstein erreicht und den ersten Projektteil erfolgreich abgeschlossen. Dadurch können wir bereits heute mehr als 45.000 t CO2 im Jahr einsparen. Durch den geplanten Ausbau der Fernwärme in innenstadtnahen Bereichen können wir die CO2-Reduktion auf 60.000 t CO2 erhöhen, was dem Ausstoß von rund 86.000 PKW entspricht.
energate: Wie sieht dabei Ihre Zusammenarbeit mit der Stadt aus?
Heim: Die eigentliche Transformation des Energiesystems findet direkt vor Ort statt. Dabei haben die ansässigen kommunalen Energieversorgungsunternehmen eine besondere Verantwortung. Die Stadt Dortmund erstellt derzeit den kommunalen Energienutzungsplan, der ein wichtiges Instrument zur Erreichung der Klimaneutralität darstellt. DEW21 unterstützt die Stadt Dortmund in beratender Funktion und wird lokales Know-how einbringen und somit Dortmunds Energiezukunft mitgestalten.
Parallel dazu arbeiten wir intern an einer integrierten Zielnetzplanung, um uns auf die durch die Energiewende anstehenden Strukturbrüche der Energieversorgung vorzubereiten. Dabei wird deutlich: Um unsere Netze zukunftsfähig - unter Berücksichtigung der Klimaschutzziele sowie der technologischen Entwicklungen - aufzustellen, bedarf es hoher monetärer wie auch operativen Investments.
energate: In welchem Zustand überlassen Sie DEW21 Ihrem Nachfolger/ Ihrer Nachfolgerin?
Heim: DEW21 wird das Geschäftsjahr mit einem operativen Ergebnis (EBIT) in Höhe von 92,9 Mio. Euro abschließen, das vorläufigen Ergebnis vor Ertragssteuern (EBT) liegt mit 71,2 Mio. Euro deutlich über Plan. Trotz Absatzrückgängen, die auf kund*innenseitige Einsparmaßnahmen zurückzuführen sind, konnte der DEW21-Teilkonzern einen Rekordumsatz in Höhe von 1.189,6 Mio. Euro erzielen.
Wir haben in den vergangenen fast sechs Jahren bei DEW21 wichtige Weichen für die Zukunft gestellt. So haben wir unter anderem mit #aufbruchDEW21 den Grundstein für eine neue strategische Ausrichtung gelegt, mit der wir uns nicht nur in den vergangenen Jahren behaupten konnten, sondern auch sehr gut für die Zukunft gewappnet sind. Wir haben als Unternehmen in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte und Initiativen erfolgreich umgesetzt, auf die ich persönlich sehr stolz bin. Dazu gehört unter anderem die Gründung der Dodata GmbH, die Wiederbelebung der Stadtenergie oder auch, dass wir als beratender, neutraler Partner die Stadt Dortmund bei der Erstellung des Energienutzungsplans unterstützen und so Dortmunds Energiezukunft mitgestalten dürfen.
energate: Wie blicken Sie persönlich voraus?
Heim: Ich bin überzeugt davon, dass DEW21 mit ihrer leistungsstarken Mannschaft und dank einer soliden Unternehmensstrategie für die kommenden Jahre gut aufgestellt ist. Auch wenn mir der Abschied von DEW21 nicht einfach fällt, freue ich mich auf die neue, vor mir liegende Aufgabe in Dortmund. Denn mit einer bundesweit einzigartigen Vielfalt kommunaler Unternehmen steht die 21-er Gruppe für eine moderne und zuverlässige Daseinsvorsorge in unserer Stadt. Und in meiner neuen Rolle als Vorsitzende des DSW21-Vorstands werde ich weiterhin, wenngleich in einer anderen Konstellation, der DSW21-Familie und damit DEW21 erhalten bleiben.