"Nach Fähigkeiten suchen und nicht nach Profilen" | Interview mit Colette Rückert-Hennen

Bild: EnBW AG

Karlsruhe (energate) - Fachkräfte fehlen überall. Der Energiekonzern EnBW wirbt für seine Büro-Arbeitsplätze mit mehr Mitsprache, flexiblen Arbeitsorten und vielen Möglichkeiten zur Weiterbildung. energate sprach mit Personal- und Vertriebsvorständin Colette Rückert-Hennen über die "Menschen-zentrierte Transformation". Denn: so wie sich die Branche wandelt, müssen sich auch die Strukturen in den Unternehmen ändern.

energate: Frau Rückert-Hennen, was für eine Chefin sind Sie?

Rückert-Hennen: Ich bin eine Teamplayerin und gebe gerne Verantwortung ab. Ermöglichen und Coachen gehört zu meinen Stärken, aber mir ist auch wichtig, dass hier Leistung gezeigt wird. Ich umgebe mich gerne mit analytischen und hoch qualifizierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die mich mal challengen. Denn ich weiß auch nicht alles. Dabei kann ich von jungen Menschen genauso viel lernen, wie von Älteren.

energate: Apropos junge Menschen. Gen-Z wurde in der Öffentlichkeit teilweise als unmotiviert und faul beschrieben. Wie erklärten Sie sich dieses Bild?

Rückert-Hennen: Ich habe sehr große Sympathien für diese Generation! In meinem Freundeskreis heißt es auch, dass Gen-Z fürchterlich ist, weil sie nicht so viele Überstunden machen wollen und andere Bedarfe haben - sie wollen Beruf und Familie vereinbaren und am Wochenende mit ihren Familien auf den Spielplatz gehen. Ich aber finde es toll, dass die sich etwas trauen, was wir uns nicht getraut haben: Leistung zu bringen, aber zum Beispiel nur für 30 Stunden in der Woche und den Rest der Zeit Kunst und Kultur zu fördern, ein Start-up zu gründen oder einem anderen Hobby nachzugehen. Meine Generation konnte sich das nicht erlauben. Jetzt müssen wir aufhören über eine Generation zu schimpfen und endlich Konzepte erarbeiten, wie wir die Skills dieser jungen Leute nutzen!

energate: Mit dem Fachkräftemangel wird das Thema "Personal" wichtiger. Ist das etwas Neues für die Energiebranche? 

Rückert-Hennen: Ja, definitiv. Als die EnBW sich 2012 dazu entschied, in neue Geschäftsfelder zu gehen, musste sie sich gleichzeitig für neue Strukturen entscheiden. Als strategischer Infrastrukturpartner für den Kunden kamen Kundenorientierung und eine Geschwindigkeit hinzu, die es zuvor in diesem Ausmaß nicht brauchte. Deswegen haben wir parallel eine Menschen-zentrierte Transformation begonnen. In Teilen arbeiten wir bereits agil und damit ganz anders als noch vor einigen Jahren. 

energate: Entstehen dadurch Konflikte in der Unternehmenskultur?

Rückert-Hennen: Wir werden immer ein Unternehmen sein, in dem es stabile Unternehmensstrukturen gibt. Als voll integrierter Energieversorger gibt es für uns kein "one size fits all". Die Netze oder die Kohlekraftwerke arbeiten prozessorientiert, wodurch sich stabile Strukturen besser eignen, während der Vertrieb mit seiner engen Bindung an den Kunden anders arbeiten muss. Wenn man offen mit der Neuordnung umgeht und jeder sich darin wiederfindet, dann gibt es keinen Culture Clash.

energate: Bis 2025 müssen Sie fast 8.000 neue Stellen besetzen. Gehen Sie im Recruiting-Prozess ebenfalls unterschiedlich vor? 

Rückert-Hennen: Nein, noch ist der Prozess der Gleiche. Aktuell unterscheiden sich nur die Stellenausschreibungen. Für agile Business-Bereiche suchen wir etwa nach Product Ownern oder Cluster Leads. So würden wir keine Führungskraft in Teilen der Netzsparte ausschreiben. In Zukunft werden wir jedoch anders rekrutieren, dafür brauchen wir noch Zeit. Der Trend geht dahin, nach Fähigkeiten zu suchen und nicht nach Profilen. Ein Datenmanager kann aus der IT kommen, muss er aber nicht. In den agilen Strukturen gibt es dafür eine größere Offenheit. Die jungen Menschen haben heute sehr vielfältige Ausbildungsmöglichkeiten, daran müssen wir unser Recruiting anpassen.

energate: Wie stellt die EnBW das Recruiting auf die Suche nach Fähigkeiten um? 

Rückert-Hennen: Wenn es eine freie Stelle gibt, dann überlegen wir, welche Fähigkeiten dafür gebraucht werden. Ein ausgezeichneter Lebenslauf, mit einer bestimmten Berufserfahrung und einem Master, werden damit weniger wichtig. Potenzial wird wichtiger als die Ausbildung. Jemand, der konstantes Lernen als Kernskill hat, können wir flexibel überall im Unternehmen einsetzen. Das ist auch eine Antwort auf den Fachkräftemangel. In Deutschland sind wir da noch sehr starr. In den USA oder in Großbritannien wird das schon gelebt. Wir müssen uns hier von unseren unbewussten Voreingenommenheiten lösen. Denn das diskriminiert zum Beispiel auch Frauen. Mit Erziehungszeiten kommen Frauen nicht auf die Erfahrungszeiten in Leitungspositionen, die es manchmal laut einer Stellenausschreibung braucht.

energate: Um Fachkräfte einzustellen, müssen Unternehmen attraktive Angebote machen. Vorschläge wie eine Vier-Tage-Woche werden derzeit auch politisch diskutiert. Sollte so ein Thema von der Politik gesetzt werden oder gehen Unternehmen dies von allein und dann vielleicht sogar "besser" an?

Rückert-Hennen: Die Unternehmen müssen das selbst nach ihrem eigenen Bedarf machen. Bei uns wollen 75 Prozent derjenigen, die im Homeoffice arbeiten können, mindestens drei Tage die Woche von zu Hause aus arbeiten. Je nach Bereich unterscheiden sich die Bedürfnisse. Die Teams entscheiden gemeinsam, wie sie arbeiten wollen. Das legt nicht der Einzelne und nicht die Führungskraft fest. In der Regel haben die meisten Teams ein oder zwei gemeinsame Arbeitstage, die dann auch für den Diskurs genutzt werden. Heute wird viel aktiver und fokussierter in dafür festgelegten Zeiten miteinander geredet und gearbeitet als früher.

energate: Ist die Frage nach Homeoffice und Remote-Arbeit aktuell das Kernthema für die EnBW bei der Zufriedenheit der Mitarbeitenden?

Rückert-Hennen: Ja, das wissen wir aus den Umfragen, die wir intern gemacht haben. Wir führen mittlerweile für Home-Office-fähige Stellen kein einziges Recruiting-Interview mehr, ohne dass wir nach Remote-Work und Workation gefragt werden. 

energate: Generell geht die Tendenz dahin, dass Hierarchien wegfallen. In der Praxis haben viele Unternehmen Schwierigkeiten damit, das Vakuum zu füllen. Was ist dabei die Herausforderung? 

Rückert-Hennen: Es gibt Führungskräfte, die sich in hierarchischen Strukturen wohlfühlen, weil sie das so gelernt haben und so bisher erfolgreich waren. In agilen Strukturen sieht das anders aus, hierfür müssen auch die neuen Führungskräfte enabled werden. Mit ihrer Verantwortung wollen sie nicht das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren. Natürlich fragen insgesamt Führungskräfte nach, wie sie sich weiterentwickeln können. Dafür bieten wir permanent neue Tools und Programme, die ihnen zum Beispiel beibringen, was hybride Führung bedeutet. Und genauso müssen wir unsere Mitarbeitenden dazu enablen, selbstverantwortlich zu arbeiten.

energate: Ist das Enablen von Führungskräften bei der EnBW etwas Einmaliges oder etwas Kontinuierliches - wie viel Raum nimmt die Weiterbildung ein?

Rückert-Hennen: Vor knapp drei Jahren haben wir ein Kompetenzbild von Führungskräften entwickelt. Dieses sind wir einmalig mit allen top und oberen Managern durchgegangen. Seitdem haben wir das Konzept weiterentwickelt und werden es auch künftig weiterentwickeln. Wir haben mit hybridem Arbeiten begonnen, jetzt thematisieren wir zum Beispiel den Umgang mit Mitarbeitenden, die Schwierigkeiten haben, im Homeoffice Abstand zu gewinnen oder wie ich über den Bildschirm erkenne, ob es jemandem gut geht. Wir haben zudem eine digitale Plattform mit Fähigkeiten entwickelt, auf denen sich Menschen gezielt weiterbilden können. Die steht allen Mitarbeitenden und Führungskräften zur Verfügung. 

energate: Lassen Sie uns beim Beispiel "Wertschätzung" weiter in die Tiefe gehen. Wie kann Wertschätzung von oben in die Unternehmenskultur integriert werden? 

Rückert-Hennen: Wertschätzung ist nichts anderes als Feedback geben und das sollte konstant erfolgen. Da sind wir noch nicht so weit, wie wir es gerne wären. In Deutschland ist es in der Regel so, dass man einmal im Jahr Feedback bekommt. Die Zukunft wäre, dass man nicht einmal im Jahr auf ein Gespräch mit der Führungskraft wartet, sondern dass kontinuierlich Gespräche über die Arbeit geführt werden, als Lob oder dass man sich mit der Arbeit beschäftigt. Ein Lob ersetzt natürlich keine Gehaltserhöhung, aber es ist wichtig, mit den Beschäftigten in den Diskurs zu gehen. Ich habe mich immer wahnsinnig darüber gefreut, wenn jemand meine Arbeit gesehen hat.

Die Fragen stellte Katharina Johannsen.