"Neue Zuständigkeiten der BNetzA können auch eine Chance sein" | Interview mit Prof. Dr. Achim Schröder

Bild: Westenergie

Essen (energate) - Die Anreizregulierung steht ebenso wie der Stromnetzausbau vor einem Umbruch. energate sprach mit Prof. Achim Schröder, Vorstand Finanzen & Regulierung bei der Eon-Tochter Westenergie, über die neue Machtfülle der Bundesnetzagentur, den Netzturbo für Wärmepumpen und E-Autos sowie den heiß diskutierten Paragraphen 14a EnWG, mit dem die Netzbetreiber die Kontrolle behalten wollen.

energate: Die Bundesnetzagentur kann nach dem EuGH-Urteil die Anreizregulierung neu erfinden, sofern sie denn will. Passt das derzeitige System in Ihren Augen noch? 

Schröder: Mit der Grundsystematik ist unsere Branche gut gefahren. Nach jahrelangem Kampf um Capex kommt die Refinanzierung der Netzinvestitionen durch den Kapitalkostenaufschlag inzwischen auch für uns Verteilnetzbetreiber zeitnah an. Auf der Opex-Seite stellen wir uns den fünfjährigen Kostenprüfungen und dem Effizienzansatz, der dahinterliegt. Das ergibt weiterhin Sinn, auch wenn die Monopolzeit mit dem Start der Anreizregulierung im Jahr 2009 weit hinter uns liegt. Der dritte Bestandteil sind die dauerhaften nicht beinflussbaren volatilen Kosten, die klug festgelegt sein müssen. Ich würde auch bei fünfjährigen Regulierungsperioden bleiben wollen, sonst fehlt der vom Verordnungsgeber gewünschte Anreizeffekt. Ich glaube, dies sieht die Netzagentur ähnlich. Der Produktivitätsfaktor Xgen, der damals den Speck aus den Monopolzeiten abbauen sollte, ist allerdings überholt.

energate: Passt denn die fünfjährige Regulierungsperiode auch für Gasnetze, die künftig zurückgebaut werden müssen?

Eine Studie der Agora hatte kürzlich degressive Abschreibungen und neue Anreize zur Stilllegung empfohlen.

Schröder: Unstrittig ist, dass wegen Elektroautos und Wärmepumpen unsere Infrastruktur mehr in Richtung Strom gehen wird. Trotzdem werden auch die Gasnetze in den kommenden Jahren erforderlich sein, auch wenn es perspektivisch zu einer Reduktion der Nachfrage nach Erdgas kommen kann. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit dieser Entwicklung lässt sich heute noch nicht klar ableiten. Und mit Start des neuen Gebäudeenergiegesetzes werden sicher nicht auf einen Schlag im Jahr 2024 alle Gasheizungen ausgebaut sein. Wohngebäude und vor allem Industriebetriebe - insbesondere des industriellen Mittelstands - sind daher weiterhin auf Moleküle wie Wasserstoff angewiesen. Die bereits gekürzte Abschreibungsdauer funktioniert 2023 noch, aber wenn wir 10 oder 20 Jahre weiterdenken, dann kann es natürlich kritisch werden. Denn die Anreizregulierung ist auf Erlöse ausgelegt und wenn immer weniger Gas im Netz sein sollte, würden auch die Netzentgelte steigen. Kurzum: Für die fünfte Regulierungsperiode müssen wir überlegen, ob es noch das richtige System ist.

energate:Wie stehen Sie zur absehbar höheren Machtfülle der Bundesnetzagentur durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes?

Schröder: 2005 wurde die Bundesnetzagentur im übertragenen Sinne als Anwalt der Netznutzer gegründet, inzwischen fungiert sie als eine Art Waage. Sie unterstützt Netzbetreiber, damit die Energiewende funktioniert und sie schützt Netznutzer, damit es nicht zu teuer wird. Gerade bei Zinssätzen gab es bisher eine gemischte Zuständigkeit von BMWK und BNetzA. Wenn die Behörde also verantwortungsvoll mit ihren neuen Zuständigkeiten umgeht, könnte das auch eine Chance sein. In meinen Augen ist enorm wichtig, dass die BNetzA hier offen den Dialog mit der Branche sucht. Dennoch sollte sichergestellt sein, dass sich im Zweifelsfall ihre Entscheidungen noch rechtlich überprüfen lassen.

energate: Welche Zinssätze brauchen Sie als Netzbetreiber?

Schröder: Die BNetzA legt die Zinsen für einen Fünfjahreszeitraum fest. Unglücklicherweise fiel ihre letzte Entscheidung in der Zeit, bevor der überraschend hohe Zinsanstieg einsetzte. Der Eigenkapitalzinssatz I für Strom, der das Eigenkapital tatsächlich repräsentiert, liegt aktuell bei 5,07, ausgehend von davor 6,91 Prozent. Damit liegen wir in Deutschland etwa zwei Prozent unter dem internationalen Durchschnitt. Da muss etwas passieren, die Regulierungsbehörde hat aber bereits zugesagt, dass sie darüber nochmals nachdenkt.

energate: Wie sieht es bei dem Eigenkapitalzins II aus, der ab 40 Prozent Eigenkapitalquote greift?

Schröder: Das ist unser derzeit größter Schmerzpunkt, aber auch hier sind wir in guten Gesprächen mit der BNetzA. Wir stehen bei nur noch 1,71 nach 2,72 Prozent in der vorherigen Regulierungsperiode. Am Markt kostet die Refinanzierung momentan etwa 4 Prozent. Wir müssen daher ein Delta von rund 2 Prozent verkraften. Dabei sollte der EK-II-Zins eigentlich zur Refinanzierung des am Markt beschafften Fremdkapitals dienen. Damit verlieren wir derzeit mit jeder Investition Geld. Deshalb fordern wir nur eine Gleichstellung mit den Übertragungsnetzbetreibern, die eine zeitnahe Anpassung an den Zinssatz erhalten. Der ist für 2024 eigentlich schon zugestanden, dazu wird es vermutlich bald eine Konsultation geben. Aber eigentlich müsste auch rückwirkend für dieses und letztes Jahr etwas passieren.

energate: Wo hakt es beim Netzausbau?

Schröder: Wir brauchen den Netzturbo, nicht nur auf den Stromautobahnen der Übertragungsnetzbetreiber, sondern auch im Verteilnetz. Dafür muss die Genehmigungsdauer mit durchschnittlich fünf Jahren deutlich verkürzt werden. Es hilft nicht, wenn wir die Erneuerbaren immer weiter ausbauen, das Netz dafür aber nicht bereit ist. Nur um es plastisch zu machen: Bei der Westnetz kommen wir inzwischen auf einen Rekord von 69.000 PV-Anschlussbegehren im Jahr 2022, ein Zuwachs von über 120 Prozent gegenüber 2021. Bis 2030 erwarten wir in der gesamten Westenergie-Gruppe rund 940.000 Solaranlagen auf Gebäuden. Das ist mehr als das Vierfache von den bisher angeschlossenen Anlagen. Bei den Wärmepumpen geht es perspektivisch noch rasanter vorwärts - von aktuell 90.000 Anlagen auf schätzungsweise 888.000 im Jahr 2030.

energate: In jüngster Zeit häufen sich Berichte, dass die Netzbetreiber auf der Bremse stehen. So hat sich der Wohnungskonzern Vonovia lautstark über einen Wärmepumpenstau beschwert.

Schröder: Kunden erhalten bei Westnetz über unser Online-Einspeiseportal ihre Anschlusszusagen für PV-Anlagen zu 89 Prozent direkt innerhalb von Sekunden. Hier erleben wir gerade einen Boom, den wir unter anderem auf das Osterpaket zurückführen. Das ist grundsätzlich sehr gut, denn es zeigt: Die Energiewende kommt voran. Grundsätzlich kann es dann aber auch passieren, dass der Netzausbau nicht sofort mit dem Bedarf mithalten kann. Deshalb brauchen wir kurzfristig die Möglichkeit, steuernd eingreifen zu können. Bei Westenergie haben wir zudem eine Digitalisierungsoffensive für unsere Ortsnetzstationen gestartet. Die Anlagen sollen nicht nur fernsteuerbarer werden, sondern auch leistungsstärker. Genau wie bei den Wärmepumpen kann es aber auch hier derzeit Lieferprobleme geben.

energate: Der Entwurf des Paragraphen 14a im EnWG würde den Netzbetreibern eine Drosselung erlauben, gegen welche die Automobilbranche Sturm läuft. Hilft das Netzausbau zu sparen?

Schröder: Unser Ziel ist, dass steuernde Eingriffe von Seiten der Netzbetreiber so selten wie möglich vorgenommen werden müssen. Oder anders: Kein Kunde sollte mit einem Umstieg auf E-Mobilität warten, bis das Netz ausgebaut ist. Gleichzeitig muss die lokale Netzstabilität höchste Priorität haben. Genau dies soll der §14a EnWG ermöglichen. Es geht also darum, die Zeit zu überbrücken, bis das Netz lokal verstärkt ist. Ideen, wie etwa an jede Tankstelle am liebsten eine Schnellladestation bauen zu wollen, sind zwar verständlich, aber bei vier solcher Anschlüsse sind wir direkt in einer höheren Spannungsebene. Die Kapazitäten des Verteilnetzes sind nicht unbegrenzt.

energate: Wie sieht Ihr Rückblick auf das Krisenjahr aus und was sind die wichtigsten Baustellen in den kommenden Monaten?

Schröder: In enger Abstimmung mit den zuständigen Bundesministerien und Behörden haben wir im vergangenen Winter viele Vorkehrungen getroffen, Kundengruppen definiert, uns eng mit angeschlossenen Unternehmen abgestimmt und Abschaltpläne erarbeitet. Zum Glück kamen diese nicht zum Einsatz. Aber der kritischere Winter liegt vielleicht noch vor uns, da die Kernenergie aus dem Netz ist. Für die Berechnung der Netzentgelte ist die unklare Verbrauchsituation nicht einfach. Unsere Kunden haben etwa 20 Prozent eingespart, und das nicht unbedingt freiwillig, sondern wegen der hohen Preise. Ob und wie die Konjunktur in Schwung kommt, ist ein Unsicherheitsfaktor.