Erprobung autonomer Drohnen zur Netzüberwachung | emw.trends

Foto: QLEX GmbH

VON FRANK RATHLEV – THYSSENGAS GMBH, DORTMUND

Wenn die Genehmigungserteilung planmäßig klappt, wird die Thyssengas GmbH zusammen mit Partnern im dritten Quartal 2019 testweise Drohnen zur Gasnetzüberwachung einsetzen. Die noch vom Boden aus gesteuerten Testflüge sind Vorboten des angestrebten autonomen Flugbetriebs der Drohnen. Dabei geht es nicht um eine technische Spielerei: Gegenüber der heute üblichen Trassenüberwachung per Helikopter bietet der Einsatz von Drohnen eine Reihe von handfesten Vorteilen.

Die Ferngasnetzbetreiber in Deutschland haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Instrumente zum Überwachen ihrer Gasinfrastruktur entwickelt. Das Begehen, Abfahren oder Abfliegen der Trassen mit dem Hubschrauber sind gängige Maßnahmen.

Thyssengas betreibt ein rund 4.200 Kilometer langes Gastransportnetz, große Teile davon befinden sich in oder nahe den Ballungsräumen Nordrhein-Westfalens. Somit kommt es relativ häufig vor, dass in der Nähe der Pipelines Bauarbeiten durchgeführt werden. Die größte Gefahr für den sicheren Betrieb der Leitungen sind Bagger oder sonstige Baumaschinen, die den Röhren zu nahe kommen oder sie bei Erdarbeiten sogar beschädigen.

Effizienter, emissionsärmer, günstiger, leiser, sicherer…
Thyssengas fliegt längere Netzstrecken mit Helikoptern im 14-Tage-Rhythmus ab – doppelt so häufig wie das Regelwerk verlangt. Pro Flug summieren sich durchschnittlich 600 Meldungen über mögliche Gefahren oder Störungen für die Infrastruktur. Die Überwachungsarbeit mitsamt Dokumentation und Nachbearbeitung ist aufwändig und zeitintensiv. Das Befliegen der Trassen per Mobilfunk gesteuerter, autonomer Drohnen könnte diesen Prozess effizienter, kostengünstiger, emissionsärmer, leiser und sicherer machen. Zudem könnte man die Kontrollflüge häufiger durchführen, wodurch das Leitungs- Monitoring intensiviert und damit letztlich die Versorgungssicherheit weiter verbessert würde. Zwar wären Drohnenflüge vor allem wegen der Anfangsinvestitionen in die flächendeckende Infrastruktur zunächst teurer als Helikopterflüge, auf lange Sicht aber sogar kostengünstiger.

Wie müsste diese Infrastruktur beschaffen sein? Drohnen erzielen keine so hohen Reichweiten wie Hubschrauber. Also muss man innerhalb der eingezäunten Areale von Verdichterstationen und Gasdruckregel- und -messanlagen jeweils Basisstationen für die Drohnen installieren. Dort können die Fluggeräte sich selbsttätig aufladen und ggf. Daten abgleichen. Die Drohnen könnten so von Station zu Station fliegen und planmäßig zirkulieren. Der autonome Flugbetrieb wird mithilfe des Mobilfunknetzes realisiert und von der Firma Droniq überwacht. Die Deutsche Telekom und die Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS) haben das Gemeinschaftsunternehmen Ende Mai 2019 gegründet, um den zunehmenden Drohnenflugverkehr in Deutschland zu organisieren. Die während des Flugs erhobenen Daten können in Echtzeit übertragen und unmittelbar ausgewertet werden.

Das Strecken-Scouting steht zunächst im Vordergrund
Thyssengas arbeitet mit mehreren Drohnenherstellern zusammen und beabsichtigt, nach Vorliegen der einschlägigen Genehmigungen erste Testflüge durchzuführen. Dies könnte schon im dritten Quartal 2019 der Fall sein. In den Regierungsbezirken Düsseldorf und Münster wurden dafür insgesamt vier Teststrecken ausgewählt. Diese sind jeweils rund 25 km lang und haben unterschiedliche Profile. Bei diesen ersten Tests werden die Drohnen allerdings noch nicht autonom fliegen können. Zunächst einmal wird es vorrangig darum gehen, die Strecken genau zu erkunden: Welche Mobilfunknetze stehen wo mit welcher Verbindungsqualität zur Verfügung. Wie ist die Verbindungssituation in 60 bis 80 Metern Flughöhe? Diese und weitere Aspekte müssen genau erkundet werden. Im engen Austausch mit der Landesluftfahrtbehörde Münster wurden beziehungsweise werden entsprechenden Anträge ausgearbeitet. Die Behörde achtet genau darauf, ob Bundesstraßen, bebaute Gebiete oder Autobahnen überflogen werden, welche Notfallkonzepte vorliegen, welche Notlandeplätze zur Verfügung stehen usw. Hier entsteht ein umfangreiches Genehmigungs- und Regelwerk, das sich als Mustervorlage für weitere Projekte nutzen lässt.

Die Behörden arbeiten mit großem Engagement mit. Zu den Zielen des Drohnenprojektes gehört, dem autonomen Fliegen in Deutschland einen gesetzlichen Rahmen zu geben, damit sich der Einsatz von Drohnen in vielen Bereichen etablieren kann. Derzeit lässt der Gesetzgeber das autonome Fliegen noch nicht zu. Die Drohnen müssen immer in Sichtweite eines Operators fliegen, das heißt, alle 400 Meter muss auf dem Boden ein Mensch stehen. Die DFS hat deshalb großes Interesse an der Entwicklung eines Regelwerks für Fluggeräte, die sich „unterhalb des Radars“ bewegen, also unter 100 Metern Höhe.

Der Einsatz von Drohnen eignet sich im Energiebereich nicht nur für die Überwachung kritischer Infrastrukturen wie Gas- und Stromnetze, sondern auch zum Beispiel für das Monitoring von Kraftwerken, Windenergieanlagen und Solarparks. Die Drohnenhersteller haben das Potenzial erkannt und arbeiten an der Entwicklung spezifischer Modelle. Der Drohnentyp VTOL (Vertical take off and landing) entspricht den Anforderungen der TSO (Transmission Systems Operator) besonders gut. Diese Drohnen sehen aus wie ein Flugzeug, können senkrecht starten, aber auch schweben, und sind somit in der Lage, längere Strecken zurückzulegen. Außerdem sollten die Drohnen in der Lage sein, neben einer redundanten Stromversorgung mehrere Kameras und Sensoren zu tragen, um verschiedenste Bildaufnahmen machen und Parameter erfassen zu können.

Die Branche zeigt großes Interesse an dem Projekt. Die Zwischenergebnisse stellt Thyssengas auch im Rahmen des DVGW-Forschungsprojekts zur automatisierten Erkennung von Gefahren vor. Hier arbeiten alle elf deutschen TSO an der Entwicklung einer auf KI-Technologie basierenden, selbstlernenden Bildauswertungssoftware zusammen. Forschungsseitig sind die Hochschule Remagen, das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB sowie das Engler Bunte Institut mit dabei.

Das Ziel: Alle Fäden zu einem System zusammenführen
Aufgrund der Vielzahl der Parameter, die für einen sicheren autonomen Drohnenflug zu berücksichtigen sind, hat sich Thyssengas für ein schrittweises Vorgehen in Teilprojekten entschieden. Das beinhaltet häufiges Testen der Technik unter verschiedenen Prämissen. Parallel muss das Regelwerk entwickelt werden, sowohl auf der Ebene der Flugsicherung als auch im Bereich der gasfachlichen Anforderungen. Thyssengas arbeitet hier eng mit den Partnern zusammen und befindet sich im engen Austausch mit den zuständigen Behörden sowie dem DVGW.

Das Ziel der skizzierten Projektarbeit ist es, die verschiedenen Fäden des Testens, Forschens und Entwickelns zusammenzuführen und in ein umfängliches, konsistentes System für die Infrastrukturüberwachung durch Drohnen münden zu lassen. Dass damit auch Dienste und Geschäftsmodelle jenseits der Gasleitungsüberwachung realisierbar sind, steht zunächst auf einem anderen Blatt, ist in den Hinterköpfen der Projektbeteiligten aber selbstredend fest verankert.

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