"Die Blockchain liefert volle Transparenz" | emw.trends Interview

Foto: © Lition Energie GmbH

INTERVIEW MIT KYUNG-HUN HA, COO LITION ENERGIE GMBH, BERLIN

Die Blockchain-Technologie hat im Finanzsektor bereits Fuß gefasst. Im Energiesektor beginnt man erst, ihre Möglichkeiten auszuloten. Das Start-up Lition Energie zeigt, was heute schon möglich ist: Dazu vernetzt es Grünstrom-Anlagen über eine Blockchain-Plattform und bietet so Endkunden die bilanzielle Belieferung mit Erneuerbaren-Strom zum tagesaktuell günstigsten Preis. Kyung-Hun Ha, COO Lition Energie GmbH, erläuterte im Gespräch mit energate Redakteur Daniel Zugehör den Stand der Dinge und Anwendungsszenarien der Blockchain in der Energiewirtschaft.

e|m|w.trends: Herr Ha, wie funktioniert Ihr Geschäftsmodell und wie viele Anlagen haben Sie im Pool?

Ha: Bei Lition entscheiden nicht mehr die Energiekonzerne, sondern die Kunden, von wem sie Strom beziehen. Bitcoin hat es vorgemacht: Ohne Bank oder Mittelsmänner wird hier Geld von einer Person zur anderen übertragen. Dasselbe Prinzip wenden wir bei Lition für Strom an. Auf unserer Blockchain-basierten Energiebörse verbinden wir direkt Kunden und grüne Erzeuger. Als lizenzierter Stromanbieter ist das Geschäftsmodell grundsätzlich einfach: Wir verdienen unser Geld mit dem Verkauf von Strom und können unseren Kunden durch realisierte Prozesseffizienzen faire Preise anbieten. Außerdem setzen wir ausschließlich auf unabhängige grüne, also regenerative, Energieanbieter Durch die direkte Verbindung zum Konsumenten können wir diese Produzenten stärken und ihnen höhere Margen als im klassischen Marktkontext bieten. Der Verbraucher dagegen hat bei uns die einzigartige Möglichkeit, seinen regionalen Stromanbieter auszuwählen. Dieses Wechselspiel wird letztlich für einen stetigen Anstieg grüner Kraftwerke auf unserer Handelsplattform sorgen und damit Kunden und Produzenten unabhängig von marktdominierenden Unternehmen machen. Das Ziel: Eine grünere, dezentralere und regionale Energieversorgung.

Tatsächlich ist Lition der erste echte Blockchain- basierte Energieversorger, der in einem Massenmarkt aktiv ist. Derzeit bieten wir unseren Kunden Zugang zu sieben grünen Anlagen. Weitere Anlagen werden angeschlossen. Die Produzenten machen auf unserer Börse Verkaufsangebote und Kunden können aus diesen Angeboten auswählen und sich zum Beispiel für den regional nächsten Anbieter entscheiden. Lition übernimmt die komplette Abwicklung – da die Energiebranche leider noch nicht so fortschrittlich ist wie der Finanzsektor, wo für Bitcoin keine Bank benötigt wird. Wir kümmern uns um die Marktpartnerkommunikation, das Abrechnungs- und Wechselmanagement und das Call Center. Wir hoffen natürlich, dass sich die Gesetzgebung dahingehend ändert, dass echtes Peerto- Peer-Trading ohne Energieversorger als Zwischenhändler möglich wird. Wechselprozesse, Stromeinkauf, EEG-Volumenmeldungen, Lastenregulierung, Herkunftsnachweise – all diese Schritte lassen sich auf der Blockchain über sogenannte Smart Contracts abbilden.

e|m|w.trends: Wie läuft das technisch konkret ab und weshalb nutzen Sie eine Blockchain?

Ha: Für den Produzenten: Er erhält mehr Geld, da er den Preis selbst festlegen kann. Also: Mehr Geld für das gleiche Stromprodukt. Der Erlös ist etwa zehn Prozent höher als üblich. Dabei ist die Anlagengröße beliebig. Kleinstanlagen sind bei uns ebenfalls willkommen. Auch wenn hier die Herausforderung für uns eine größere ist: Müssen wir doch den Strom, den die Kleinstanlage an den Netzbetreiber oder als größere Anlage an den Direktvermarkter verkauft, kaufen, um ihn dann in den Bilanzkreis unserer Kunden bringen zu können. Für den Konsumenten: Er zahlt zwar zunächst etwas mehr Geld durch den Aufpreis des Produzenten (2 Cent/kWh), bleibt aber damit immer noch unter dem, was er beim Grundversorger zahlt. Die Ersparnis liegt hier bei über zehn Prozent. Und – der entscheidende Vorteil: Der Kunde kann sein Kraftwerk direkt auswählen und besitzt damit die Macht, zu entscheiden, woher er seinen Strom beziehen möchte.

e|m|w.trends: Welche Vorteile haben Versorger, beziehungsweise Stromkunden, von einer Zusammenarbeit mit Ihnen?

Ha: Lition nutzt die Blockchain-Technologie. Diese ermöglicht sichere Transaktionen direkt zwischen Ökostrom-Kunden und -Erzeugern über Smart Contracts. Wir entwickeln in Kooperation mit der SAP eine eigene Blockchain und laufen derzeit noch auf der quelloffenen Ethereum- Blockchain. Jede Transaktion kann auf ihre Validität überprüft werden. Wir veröffentlichen nur die Ethereum-Adressen der Kraftwerke (Public Keys), so dass die Privatsphäre der Kunden geschützt bleibt. Außerdem nutzt Lition fortgeschrittene, asynchrone Verschlüsselungsmethoden, um die Energie-Transaktionen zu verifizieren. Wir nutzen diese Transaktionen, um die Erzeuger zu vergüten und den gekauften Strom zu liefern. Dabei ist die Blockchain wie ein offenes Orderbuch und liefert volle Transparenz, die eben nur durch diese Technologie möglich wird.

e|m|w.trends: Kritiker äußern häufig, dass die Blockchain-Technologie selbst zu einem erhöhten Energiebedarf führt – was antworten Sie darauf?

Ha: Das kommt auf den verwendeten Konsensmechanismus an, den die Blockchain verwendet, um Transaktionen zu legitimieren und in die Blockchain aufzunehmen. Der bekannteste Mechanismus ist die „Proof of Work“-Methode, die von Bitcoin und Ethereum verwendet wird. Bei der „Proof-of-Work“-Methode wird den Teilnehmern für die Lösung von komplizierten kryptografischen Aufgaben eine Belohnung in der jeweiligen Kryptowährung (z.B. Bitcoin oder Ethereum) ausgezahlt. Das Lösen der Rechenaufgaben erfordert viel Zeit und Energie, wodurch diese Methode sehr kostenintensiv ist. Es gibt mittlerweile zahlreiche Methoden, die dieses Problem umgehen wie zum Beispiel die „Proof of Stake“-Methode, die zu den etabliertesten im Markt zählt. Beim „Proof of Stake“-Mechanismus erfolgt die Validierung der Transaktionen auf der Blockchain auf einem Konsens-Algorithmus, der auf wertmäßigem Anteil am Netzwerk beruht. Praktisch heißt das: Wer ein Prozent aller Einheiten einer Kryptowährung besitzt, kann auch ein Prozent aller Transaktionen validieren. Die Validierung der Transaktionen erfolgt demnach deterministisch und nicht auf Basis des Lösens eines höchst rechenintensiven Rätsels. Die von Lition verwendete und im Einsatz befindliche Blockchain basiert auf einem Proof of Stake-Algorithmus.

e|m|w.trends: Welche weiteren Anwendungen sind aus Ihrer Sicht in der Energiebranche denkbar oder in Planung?

Ha: Die manipulationssichere, verteilte Speicherung von Daten in einer Blockchain ermöglicht eine transparente, für alle Nutzer einsehbare und dadurch nachvollziehbare Dokumentation von Transaktionen. Im Bereich der Zertifizierung könnte das attraktiv sein. So lassen sich Zertifikate für erneuerbare und regionale Stromproduktion schon bei der Erzeugung in einer Blockchain dokumentieren und handeln. Man könnte exakt festhalten, wann und wo der Strom produziert wurde. Oder zum Beispiel könnten von Smart Metern erfasste Verbrauchsdaten auf eine Blockchain übertragen und erst nach der Freigabe durch den Kunden weitergegeben werden. Der Kunde hätte auf diese Weise starke Kontrolle über seine Daten. Grundsätzlich ist das ein sinnvolles Szenario für die Anwendung der Blockchain, da es eine ungleich erhöhte Anzahl an großen und kleinen Interaktionen gibt, die mit bestehenden IT-Lösungen nicht effizient verarbeitet werden können.

e|m|w.trends: Herr Ha, ich danke Ihnen für das Gespräch.

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