"Die Großstadt und die umgebene Region gehören zusammen" | emw-Interview

Fotos: © Oliver Killig | killig.com

Interview mit Frank Brinkmann, Sprecher der Geschäftsführung der Technische Werke Dresden GmbH

Die Fusion der Drewag und der Enso schreitet weiter voran. Doch auch schon bevor die Fusion offiziell in die Umsetzung geht, arbeiten die beiden Unternehmen daran, ihre Integration voranzutreiben. Welche Rolle dabei die Regulierung und die Landespolitik spielen, warum der Zusammenschluss von Unternehmen zu größeren Einheiten auch mit Blick auf neu in das Energiegeschäft eintretende Konkurrenten aus anderen Branchen Sinn macht sowie die Frage, wo das fusionierte Unternehmen hinsteuert, sind die Themen, die unser Interview mit Frank Brinkmann, Sprecher der Geschäftsführung der Technische Werke Dresden, aufgreift.

e|m|w: Herr Brinkmann, Sie sind nun seit 18 Monaten Chef der Technischen Werke Dresden mit dem Auftrag, die Fusion von Enso und Drewag voranzubringen. Wie verlief der Start?

Brinkmann: Ich war überrascht, wie groß die Gestaltungsmöglichkeiten und der Wille, etwas zu bewegen, hier sind. Nur unter diesen Voraussetzungen ist so eine Pre-Merger- Integration zwischen Enso und Drewag, die wir hier angestoßen haben, überhaupt möglich. Was wir hier erleben, ist wahrscheinlich die letzte Integration auf der Größe eines regionalen Versorgers. Wir werden am Ende das halbe Bundesland Sachsen versorgen.

e|m|w: Wie läuft die Pre-Merger-Integration ab?

Brinkmann: Wir haben auf Management-Ebene schon Identität, auch bei Prokuristen sowie bei vielen Abteilungs- und Gruppenleitern. Auch operativ gibt es eine enge Zusammenarbeit, etwa mit der gemeinsamen Leitwarte. Auch die IT haben wir zusammengefasst. Es fühlt sich an wie ein Unternehmen, aber legal sind es zwei. Oft erleben sie ja, dass Fusionen groß angekündigt werden, aber dann an der Betriebsintegration scheitern.

e|m|w: Weil der Prozess schon läuft, gibt es aber auch keine Alternativen zur Fusion mehr?

Brinkmann: Wir könnten die wilde Ehe auch fortsetzen, aber das Risiko wäre bei so einem Modell größer.

e|m|w: Wann soll die Fusion abgeschlossen sein?

Brinkmann: Als ich hier anfing, hieß es, das werde schnell erledigt sein. Das ist aber nicht so, weil viele Vorarbeiten und Überzeugungsarbeit noch ausstanden. Wir müssen alle Einzelaktionäre der Enso überzeugen und wir haben das Steuerthema. Es war auch abzusehen, dass das vor der Landtagswahl in Sachsen Anfang September nichts wird. Deswegen haben wir auch bereits mit der Integration begonnen, damit die Aktionäre schon die Vorteile sehen können.

e|m|w: Wie reagiert denn die Belegschaft? Fusionen kosten ja in der Regel Arbeitsplätze.

Brinkmann: Die geht mit. Das liegt auch daran, dass es hier historisch schon ein gemeinsames Versorgungsunternehmen gab. Das wurde dann nach der Wende aufgeteilt. Die beiden Unternehmen sind zudem schlank aufgestellt, sodass wir keine großen Überhänge hatten. Zudem haben wir den Vorteil, dass die Region wirtschaftlich gut da steht und wir echtes Wachstum haben Das gibt Rückenwind auch für die neuen Themen, die wir angehen.

e|m|w: Könnte der Fusionsprozess, den Sie hier machen, Vorbild für weitere Fusionen auf kommunaler Ebene sein?

Brinkmann: Ich persönlich glaube an regionale Hub-Modelle. Die Großstadt und die umgebene Region gehören zusammen, das ist energiewirtschaftlich sinnvoll. So etwas habe ich schon einmal in Nürnberg und Köln begleitet. Für Deutschland böten sich eine gewisse Zahl solcher regionalen Hubs an. Sicher auch im Ruhrgebiet, leider funktioniert das dort nicht.

e|m|w: Die aktuelle Regulierung bietet kleinen Unternehmen einige Ausnahmen und damit Vorteile. Sollten diese Anreize überdacht werden, um mehr regionale Strukturen zu fördern? Brinkmann: Ich denke schon, dass das einen Push geben könnte. Die Sondertatbestände, die Landesregulierung sorgen dafür, dass es auch in Klein-Kleckersdorf attraktiv ist, eigene Strukturen aufzubauen. Dabei ist zu beobachten, dass die Luft insgesamt dünner wird, dass Ergebnisse auch mal negativ ausfallen. Gerade deswegen ist es sinnvoll, innerhalb einer Region zusammenzuarbeiten.

e|m|w: Wie steht denn die Landespolitik Ihrem Vorhaben gegenüber?

Brinkmann: Sehr wichtig war für uns eine Änderung der sächsischen Gemeindeverordnung noch kurz vor Landtagswahl. Da gab es einen überparteilichen Konsens. Die Änderung gibt uns als Energieversorger viel mehr Freiraum. Vorher mussten wir bei Investitionsentscheidungen immer die Stadträte fragen. Jetzt geht das in den Aufsichtsrat, wie bei anderen Unternehmen auch. Wir brauchen diese operative Handlungsfähigkeit im Wettbewerb.

e|m|w: Blicken wir auf die Geschäftsentwicklung von Drewag und Enso. Beide Unternehmen stehen gut da, haben beim Strom und Gasabsatz sogar zuletzt zugelegt…

Brinkmann: Im Kerngeschäft haben wir zwei gesunde Unternehmen, die wir nun zu einem agilen Versorger entwickeln. Es ist schon so, dass man auch im klassischen Vertriebsgeschäft noch wachsen kann, wenn man in einer Wachstumsregion ist. Aber wir müssen auch aufpassen, es sind durchaus dunkle Wolken erkennbar.

e|m|w: Inwiefern?

Brinkmann: Für ein Unternehmen wie Google wäre es doch ein leichtes, einen Energievertrieb auszurollen. Das ist reines Commodity-Geschäft. Diese digitalen Player wissen genau, wo Kundenschnittstellen sind. Neulich hat ein deutscher Google-Manager gesagt, das Einzige, was ihn davon abhält, ins Energiegeschäft einzusteigen, sei die erratische Regulierung. Das ist schon eine krasse Aussage. Das Beherrschen des regulatorischen Umfeldes ist unser USP, denn eigentlich sind die Lösungen, die wir als Branche anbieten, noch ein bisschen von vorgestern.

e|m|w: Die Regulierung schützt die Energiebranche also vor der neuen Konkurrenz von Google, Amazon und Co?

Brinkmann: Im Prinzip schon. Die Gesetzesflut in der Energiebranche ist ein Markteintrittshemmnis. Diese Unternehmen sehen, was RWE und Eon in der Vergangenheit an Kapital verbrannt haben. Die sehen Kraftwerke, die kein Geld verdienen, obwohl etwa die kommunalen Versorger vor zehn, 15 Jahren von der Politik noch ermutigt wurden, in Erzeugung zu investieren. Oder sie sehen die Auflagen, die Geschäftsmodelle verhageln, etwa beim Thema Datennutzung. Diese Unternehmen könnten mit Daten viele Mehrwerte generieren, sie dürfen aber nicht. Die Kehrseite ist, dass diese Auflagen natürlich uns genauso treffen. Wie lange wir diesen „Schutz“ genießen, wissen wir nicht. In der Zwischenzeit bereiten wir uns vor. Wir haben zum Beispiel unsere IT komplett neu aufgestellt. Denn hier wird sich entscheidend zeigen, ob ein Unternehmen zukunftsfähig ist. e|m|w: Welche neuen Geschäftsfelder haben Sie im Blick?

Brinkmann: Die Telekommunikation. Das Glasfasernetz wird komplett neu entstehen. Bisher waren diese Kupfer-Leitungen fest in der Hand der Telekom, die sich hier die Pfründe geschickt gesichert hat. Bei Glasfaser werden die Karten neu gemischt. Wer die Infrastruktur legt, der hat sie. Das Thema Glasfaser hilft auch bei der Integration der Unternehmen. Wir stellen hier in Summe sogar Personal ein.

e|m|w: Wie sieht es bei der Erzeugung aus?

Brinkmann: Wir bauen ein neues Kraftwerk am Standort Reick, da sind wir die ersten unter der neuen KWK-Regelung. Die Anlage wird schwarzstartfähig sein. Das ist wichtig, wir haben hier in Dresden ja viel Halbleiterproduktion, da brauchen sie eine hohe Ausfallsicherheit. Wir glauben auch, dass wir in den kommenden Jahren noch gesicherte Erzeugung brauchen, wenn die Braunkohleblöcke aus dem Netz gehen. Das werden dann kleinere, dezentrale Anlagen sein, hier und dort mal 80 Megawatt.

e|m|w: Wie sieht es bei erneuerbaren Energien aus?

Brinkmann: Das Wachstum bei Erneuerbaren findet vor allem in der Region und damit bei der Enso statt. Zugebaut haben wir vergangenes Jahr Solarenergie und Wind. Bei der Wasserkraft ist das eher schwierig, wegen der starken Zersplitterung. Ein Riesenthema ist auch das Planungs-, Bau- und Genehmigungsrecht. Bei Wind wird über den Umweltschutz sehr viel verhindert. Die Einspruchsmöglichkeiten sind gigantisch, das merken wir auch beim Netzausbau. e|m|w: Sollte es hier gesetzliche Änderungen geben?

Brinkmann: Die Bevormundungstendenz ist schon sehr ausgeprägt und der Wille, alles regeln zu wollen. Das beste Beispiel ist sicher das Digitalisierungsgesetz. Vielleicht stecken gute Absichten dahinter, aber handwerklich ist das schlecht gemacht.

e|m|w: Eingegriffen hat die Politik zuletzt bei den Netzrenditen. Trifft Sie das?

Brinkmann: Grundsätzlich müssen wir an das Thema Netzentgelte ran. Die Kilowattstunde als Maßstab ist einfach noch alte Welt. Wir sehen ja, dass es immer mehr Einspeiser gibt, die das Netz nutzen, aber kaum was bezahlen. Aber genau für diese Fälle müssen wir in das Netz investieren. Das geht so nicht weiter. Die Renditen waren lange Zeit durchaus üppig, da hat sich der eine oder andere goldene Wasserhähne gegönnt. Deswegen haben wir ja die Regulierung. Jetzt ist es aber so, dass wir im Netz von der Substanz leben. Man muss daher aufpassen, dass man das Ganze nicht überzieht.

e|m|w: Das bedeutet?

Brinkmann: Langfristig drohen wir in eine Situation hineinzurutschen, die wir bei Straßen schon sehen in vielen Regionen. Dort war zu einem Zeitpunkt auch viel Geld da und es wurde entsprechend gebaut. Dann wurde gespart und die Infrastruktur verfällt zunehmend. Das aktuelle Regulationsverhalten führt dazu, dass wir in der Energiewirtschaft etwas Ähnliches erleben werden in einigen Jahren. Deswegen sage ich: „Schaut Euch die Situation bei den Schienen und Straßen an. Wollt Ihr das auch bei den Strom- und Gasnetzen?“

e|m|w: Herr Brinkmann, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte energate-Redakteur Karsten Wiedemann.

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