Gemeinsam smart | emw

Foto: Sabine Tesche

Von Dr. Detlef Hug, Thüga Aktiengesellschaft

Ob im öffentlichen Raum oder im privaten Umfeld – intelligente Technologien verändern rasant urbane Lebensräume und -welten. Und das nicht nur in Mega-Citys oder futuristischen Metropolen, sondern auch in deutschen Städten jeder Größe. Stadtwerke und regionale Energieversorger sehen sich hier in der Mitverantwortung für die Gestaltung der Lebensqualität am Standort und treiben daher Smart-City-Anwendungen auf kommunaler Ebene voran.

Man sieht es ihm auf den ersten Blick nicht an. Doch der Bahnhofsvorplatz im hessischen Bürstadt ist smart! Die installierten 100 Leuchten erhellen den Platz dort nicht nur effizient, 44 von ihnen erfassen mit der eingebauten Radartechnik sogar die aktuelle Parksituation. Über eine App wird Autofahrern auf ihrem Smartphone der Weg zum nächsten freien Parkplatz gewiesen. Auch das Anmieten von Leihfahrrädern wird bereits über die smarten Lampen gesteuert, die Integration von Carsharing-Angeboten soll bald folgen. Doch damit noch nicht genug: Die mit intelligenten Systemen ausgestatteten Lichtquellen verfügen auch über Notruffunktionen und ein integriertes WLAN.

Das Beispiel Bürstadt ist eines der Leuchtturmprojekte, die kommunale Energiedienstleister in Deutschland aktuell mit der Thüga umsetzen. Der Stadtwerkeverbund entwickelt mit seinen rund 100 Partnerunternehmen Produkte und Dienstleistungen für die smarte Kommune. Sie arbeiten dazu sowohl mit Start-ups und universitären Forschungseinrichtungen als auch mit etablierten Industriepartnern zusammen. Gemeinsames Ziel ist, neue zukunftsfähige Smart-City-Geschäftsmodelle zu pilotieren und umzusetzen.

In fünf Jahren Kerngeschäft
Eine Umfrage des Kompetenzcenters Innovation der Thüga aus dem Frühjahr 2019 unter den Partnerunternehmen zeigt, dass drei Viertel von ihnen bereits an Smart-City-Projekten arbeiten. Die Befragten gehen davon aus, dass Smart- City-Lösungen in fünf Jahren bereits Teil des Kerngeschäfts von Stadtwerken sind. Diese Erkenntnis stützt auch die Ergebnisse der hauseigenen Studie „Kommune 2030“ aus dem vergangenen Jahr, die vier hat: Wohnen, Mobilität, Versorgung und Kommunikationsinfrastruktur.

Rasante Entwicklung am Markt
Der technische Fortschritt, der schärfer werdende Wettbewerb beim Energie- und Telekommunikationsvertrieb und die Konkurrenz zu global agierenden Tech-Unternehmen beschleunigen die Entwicklungen enorm. Nicht zuletzt seit dem Aufkommen der Fridays-for-Future-Bewegung werden Klimaschutz und damit einhergehend nachhaltige Mobilitätslösungen dringlicher denn je. Gefragt sind bei Stadtwerken und regionalen Energieunternehmen deshalb Kooperationen und neue, mit Partnern entwickelte Geschäftsmodelle. Auf diese Weise lassen sich das Know-how bündeln und der personelle wie finanzielle Aufwand bei der Ausarbeitung stemmen.

Beim Bürstädter Projekt zum Beispiel arbeitet die Straßenbeleuchtung Rhein Main GmbH, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Mainova AG, mit dem Leuchtenhersteller Selux und dem Stadtwerkeverbund zusammen. Gebündelt werden solche Projekte bei der Thüga im Kompetenzcenter Innovation. Das Cluster unterstützt kommunale Energieversorger mit der Planung und Umsetzung von Smart-City-Anwendungen. Das Kernteam Smart City betrachtet unterschiedliche Anwendungsfälle, testet sie in Pilotprojekten und entwickelt den Baukasten für die Partnerunternehmen kontinuierlich weiter. Dieser gliedert sich in vier Bereiche: Konzeption, Anwendungsfälle, Kommunikationsstruktur und Aufbau der Smart-City-Datenplattform. Erste Projekte nach diesem Prinzip werden in deutschen Städten bereits umgesetzt.

Nie mehr Stau
In Freiburg im Breisgau testet die badenova, ein Partnerunternehmen der Thüga, zum Beispiel den Einsatz LoRaWAN-fähiger Drucksensoren für das Überwachen von Pegelständen in Regenrückhaltebecken. LoRaWAN steht für „Long Range Wide Area Network“ und ist eine Datenübertragungstechnik, die für die Kommunikationsstruktur in Smart Citys gut geeignet ist. In Freiburg erleichtert die Technik die Erfassung und Auswertung der Pegelstände; musste der Stauwärter bisher vor Ort jedes Becken einzeln anfahren und die Mengen erfassen, übernehmen das nun die Drucksensoren. Die Übermittlung der Daten erfolgt per LoRaWAN. Auf diese Weise gelangen Daten nicht nur schneller in die Leitstelle, die Informationen aus den Rückhaltebecken sind auch zeitgleich vorhanden. Im süddeutschen Singen meldet ein LoRaWAN-Funknetz beispielsweise, wie lang die Warteschlange vor dem kommunalen Wertstoffhof ist. Die Bürger sehen dies auf der Website der Kommune und können ihre Fahrt dorthin so planen, dass keine Staus vor der Einfahrt zum Wertstoffhof mehr entstehen. Das steigert letztlich auch die Luft- und Lebensqualität. In beiden Fällen hilft die moderne Datenübertragungstechnik, die Stadt informierter, vernetzter, mobiler und nachhaltiger zu machen, indem sie bestehende Versorgungsinfrastrukturen und essentielle Aufgaben der Daseinsvorsorge digitalisiert.

Mit Big Data zum optimalen Standort
Ein Beispiel, wie Daten die Infrastruktur in der Smart City verbessern, ist eine Entwicklung von Geospin, eine Ausgründung der Universität Freiburg. Um zu entscheiden, wo welche Infrastruktur optimalerweise entstehen muss, kommen Big Data und maschinellem Lernen eine entscheidende Rolle zu.

Mit der Analyse von entsprechenden Geodaten können Unternehmen und Kommunen geographische Erfolgsfaktoren objektiv identifizieren und ihre Produktund Dienstleistungsangebote erfolgreich positionieren, zum Beispiel im Bereich der Elektromobilität: Mithilfe eines Prognosemoduls können Stadtwerke, Städte und Gemeinden analysieren, welche Standorte für den Aufbau von Ladeinfrastruktur hinsichtlich Platzangebot, Nutzungsdauer und Frequentierung optimal geeignet sind.

Kein Patentrezept
Die Herausforderung für Stadtwerke besteht darin, einerseits Lösungen zu entwickeln, die für die jeweilige Kommune von hoher Bedeutung sind, und andererseits die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger so zu erfüllen, dass sie Kunde werden und bleiben. Denn letztendlich sind sie es, die über den wirtschaftlichen Erfolg und die Zukunftsfähigkeit von Stadtwerken entscheiden. Die kommunalen Energieversorger haben im Wettbewerb einen entscheidenden Vorteil: Sie kennen wie kaum ein anderer die Spezifika ihrer Kommune und können sie in die kundenzentrierte Geschäftsentwicklung einbeziehen.

Orte unterscheiden sich in Historie, sozialer und wirtschaftlicher Struktur, Größe, Entwicklungsstand, politischen Verhältnissen und finanziellen Möglichkeiten. Die Palette reicht von Kommunen, die gegen Abwanderung kämpfen, bis hin zu solchen, die aus allen Nähten platzen. Während in Ballungszentren der öffentliche Nahverkehr gut ausgebaut ist, sind Menschen in ländlichen Regionen stärker auf den Individualverkehr fokussiert. Es gibt deshalb nicht das eine Patentrezept für die Zukunft.

Mit Blick auf das Jahr 2030 steht bei einer Stadt ein innovatives Mobilitätskonzept ganz oben auf der Prioritätenliste, bei einer anderen ist ein leistungsfähiges Breitbandnetz entscheidend für eine gute Zukunftsentwicklung. Allen gemein ist aber eines: Weil das Bereitstellen von Infrastruktur zu ihrem Kerngeschäft gehört, übernehmen Stadtwerke eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Kommunen zu Smart Citys.

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