Kooperationen im Energiesektor | emw

Foto: istockphoto/ metamorworks

Von Dr. Sven-Joachim Otto, Rechtsanwalt und Partner, Ernst & Young

Insbesondere der zunehmende Regulierungsdruck führt in jüngerer Zeit wieder zu mehr Stadtwerke-Kooperationen. Diese Kooperationen begegnen vielfältigen rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Hürden, die es mit einer intelligenten Projektstruktur und -führung zu überwinden gilt.

Die endgültige Realisierung einer Kooperation kann bis zu zwei Jahre Zeit in Anspruch nehmen. Dieser Prozess ist komplex und erfordert die Beachtung einer Vielzahl von rechtlichen Bedingungen, wie auch organisatorisches Geschick. Leider scheitert der Abschluss vieler aussichtsreicher Kooperationen gerade an dieser Komplexität. Damit gilt es im Folgenden die Vorteile wie auch die Herausforderungen von Kooperationen im Energiesektor aufzuzeigen.

Organisation des Projekts
Zu Beginn eines Kooperationsprozesses sollte eine Bestandsaufnahme der unternehmerischen Ausgangssituation und der Kooperationsziele der beteiligten Unternehmen erfolgen. Eine Machbarkeitsprüfung und eine Risikoanalyse, welche die erforderlichen behördlichen Verfahren und relevanten Gesetzesänderungen in den Blick nehmen, stellen die Kooperationsabsicht auf ein solides Fundament. In Anschluss an diese Planungsschritte folgt die Umsetzungsphase.

Um besonders in der Umsetzungsphase den Überblick zu behalten, sollte dem Kooperationsprozess ein organisatorischer Rahmen gegeben werden. Hierfür haben sich a) der Projektstrukturplan, der die interne Organisation des mit der Kooperation befassten Teams bestimmt, b) der Projektablaufplan, der die einzelnen Arbeitsschritte mit Deadlines festhält und c) der Projektkostenplan, der alle Personal- und Sachkosten der Kooperation beinhaltet, bewährt.

Einbindung der Stakeholder
Die lückenlose Einbindung aller relevanten Entscheidungsträger während des gesamten Kooperationsprozesses ist essentiell. Zu diesen zählen im Fall der Kooperation von Unternehmen mit öffentlichem Träger insbesondere die Aufsichtsgremien mit den politischen Mandatsträgern. Auch die möglichst frühe Einbindung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertretungen spielt eine wichtige Rolle. Arbeitsrechtlich unabdingbar ist es, zunächst in einer Due-Diligence-Prüfung alle durch die Kooperation betroffenen Arbeitnehmer mit ihren Sozialdaten und Betriebsvereinbarungen aufzulisten, sowie schwebende arbeitsgerichtliche Verfahren und die in den letzten sechs Monaten ausgesprochenen Kündigungen festzuhalten. Eine Bestandsaufnahme sollte auch die Kosten für die Zusatzversorgung von Arbeitnehmern in kommunalen Unternehmen in den Blick nehmen.

In Bezug auf den Betriebsrat sind die Mitwirkungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz in den §§ 90, 91, 111 BetrVG maßgeblich. Eine Beteiligung des Betriebsrates wird erforderlich, wenn sich die Absicht zur Kooperation auf ein gewisses Maß verdichtet hat. Dies wird meist nach Abschluss des allgemeinen unternehmerischen Abwägungsprozesses, aber noch vor der Umsetzungsphase der Fall sein. Eine frühe Einbindung der einzelnen betroffenen Arbeitnehmer wie auch des Betriebsrates erhöht maßgeblich die Akzeptanz der Kooperation in der Belegschaft. Es sollte stets Acht gegeben werden, dass der aktuelle Stand des Kooperationsprozesses so kommuniziert wird, dass er auch für den juristisch nicht vorgebildeten Arbeitnehmer nachvollziehbar ist.

Wahl des Kooperationsmodells
Zunächst müssen die beteiligten Unternehmen ermitteln, in welcher Intensität sie kooperieren wollen. Hier bietet sich ein großer Spielraum. Die Möglichkeiten reichen von bloßen vertraglichen Liefer- oder Leistungsvereinbarungen über die Schaffung eines gemeinsamen Tochterunternehmens bis zur Fusion oder Überkreuzbeteiligung. Lässt die derzeitige Rechtslage das für beide Kooperationspartner optimale Modell nicht zu, muss dies nicht der Grund für ein gänzliches Scheitern der Kooperation sein. Vielleicht bietet ein anderes Modell zunächst einen vorläufigen Einstieg in die Kooperation.

An dieser Stelle ist dem Kartellrecht kurz Aufmerksamkeit zu schenken. Dieses wird relevant, wenn sogenannte „Kooperative Gemeinschaftsunternehmen“ gegründet werden, die für ihre Muttergesellschaften nur einzelne Unternehmenstätigkeiten ausführen, beispielsweise den Einkauf. Mit diesem Gemeinschaftsunternehmen können die Muttergesellschaften dann ihren Bedarf decken. Wenn hierdurch faktisch das Marktverhalten der Muttergesellschaften durch das Gemeinschaftsunternehmen bestimmt wird, ist der Anwendungsbereich des Kartellverbots nach § 1 GWB eröffnet. Die materielle Fusionskontrolle nach § 36 GWB ist weniger relevant, da die hiernach erforderliche Marktbeherrschung durch das Unternehmen bei Kooperationen im Energiesektor meist nicht gegeben sein wird.

Je höher die Intensität der Integration der beteiligten Unternehmen durch die Kooperation ist, desto höher wird auch der Aufwand zur Ermöglichung der Integration sein. Je nachdem wie hoch der Nutzen an einer Kooperation zu beziffern ist, kann auch eine unterschiedlich starke Intensität der Integration sinnvoll sein. Die Ermittlung der Synergiepotenziale einer Kooperation spielt für die Frage nach der Intensität einer Kooperation eine wichtige Rolle. Das heißt, die Beteiligten sollten Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen. Ergeben sich aus einer Kooperationsmöglichkeit nur geringe Synergiepotenziale, kann eine bloße Leistungsvereinbarung zwischen den beteiligten Unternehmen den größten Nutzen bringen. In anderen Fällen kann eine Kooperation für die beteiligten Unternehmen derart von Nutzen sein, dass die Synergiepotenziale bestmöglich mit einer besonders starken Verschmelzung der Unternehmen wie einer Fusion ausgeschöpft werden könnten.

Die im Energiesektor vorwiegend relevanten Synergiepotenziale liegen in den Prozesssynergien. Beispiele dafür können sein: Die Verringerung von Kosten durch das Zusammenlegen von Prozessen, wie der IT-Struktur, oder eine Vergrößerung der unternehmerischen Aufgabengebiete, welche die persönliche Ausführung von Tätigkeiten ermöglicht, die zuvor an andere Unternehmen fremdvergeben werden mussten. In Anbetracht der Energiewende und der fortschreitenden Digitalisierung bieten Kostensenkungen und Steigerung der Effizienz von Prozessen im Unternehmen einen besonders hohen Mehrwert und können eine Kooperation attraktiv machen.

Rechtliche Einzelaspekte
Ist der Mehrwert einer möglichen Kooperation herausgearbeitet und wollen die beteiligten Unternehmen den Kooperationsprozess aufnehmen, gilt es weitere rechtliche Regelungen im Blick zu haben. Die Grundregelungen zur Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden werden im Kommunalrecht der Länder festgelegt. Diese Regelungen unterliegen einer besonders starken Abhängigkeit der politischen Mehrheiten in den Landesparlamenten. Zum Schutz von privaten Wettbewerbern geht die Tendenz grundsätzlich dahin, die Möglichkeit der wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden zu begrenzen. Zu beachten sei hierbei, dass der Bereich der Energieversorgung beispielsweise im Land NRW von diesen Begrenzungen ausgenommen ist (§§ 107, 107a GO NRW).

Das im Kommunalrecht verwurzelte Örtlichkeitsprinzip bestimmt, dass ein kommunales Unternehmen seine Tätigkeit lediglich auf dem jeweiligen Gemeindegebiet ausüben darf. Ausnahmen erfährt dieses Prinzip durch die Möglichkeit zu interkommunalen Kooperationen nach dem jeweiligen Landesrecht. Ferner wird seit längerem gefordert, das Örtlichkeitsprinzip im Energiesektor zu lockern, um den Stadtwerken überhaupt einen sinnvollen Wettbewerb mit den anderen Marktteilnehmern zu ermöglichen. Dies ist in NRW durch § 107a GO NRW geschehen.

Energieversorger müssen die Genehmigungsbedürftigkeit und Genehmigungsfähigkeit eines Gemeinschaftsunternehmens rechtlich prüfen beziehungsweise prüfen lassen, um festzustellen, ob der konkrete Betrieb überhaupt rechtlich möglich ist. Für die Aufnahme des Betriebs eines Energieversorgungsnetzes ist nach § 4 Abs. 1 EnWG die Genehmigung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde erforderlich. Sie kann nach § 4 Abs. 2 EnWG auf einen durch die Kooperation geschaffenen Gesamtrechtsnachfolger übergehen. Eine neue Genehmigung ist erforderlich, wenn kein Rechtssubjekt neu geschaffen wird, auf das die Genehmigung nach § 4 Abs. 2 EnWG übergehen kann, aber die Veränderungen oder Erweiterungen des Energieversorgungsnetzes durch die Kooperation nicht unwesentlich sind. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die kooperierenden Unternehmen zwar sehr weitreichende Liefer- oder Leistungsvereinbarungen treffen, ohne aber ihre Unternehmen kapitalmäßig zu verschmelzen. Die Konzessionsverträge mit den Kommunen bleiben von Kooperationen in der Regel unberührt. Eine Übertragung der Konzessionen auf eine gemeinsame Netzgesellschaft wäre im Rahmen einer Vertragsübernahme möglich, jedoch nicht energierechtlich zwingend.

Weitere Fragen stellen sich bezüglich der Angleichung der Netzentgelte, der Erlösobergrenze und dem Grundversorgerstatus der kooperierenden Unternehmen. Es ist streitig, ob im Fall einer Kooperation die Netzentgelte angeglichen werden müssen, soweit sie sich unterscheiden. Der § 23a EnWG, der die Genehmigung der Netzentgelte durch die Regulierungsbehörde vorsieht, könnte eine der Liberalisierung des Energiemarktes entsprechend weite Auslegung erfahren. Das würde dazu führen, dass unterschiedliche Netzentgelte der kooperierenden Unternehmen, sollten sie sich unterscheiden, zumindest für eine Übergangszeit beibehalten werden können. Eine Absprache mit der zuständigen Regulierungsbehörde empfiehlt sich.

Für die Erlösobergrenze gilt: Sie ist zu Beginn einer Regulierungsperiode festzulegen und besteht dann unabhängig von den im Unternehmen entstandenen Kosten für diese Periode fort. Bei der Kooperation geht die in den jeweiligen Unternehmen gesetzte Erlösobergrenze auch auf eine mögliche gemeinsame Netzgesellschaft über.

Zuletzt zum Grundversorgerstatus: Diesen erhält dasjenige Unternehmen, das die meisten Haushaltskunden in einem konkreten Netzgebiet versorgt. Je nachdem, wie dieses Netzgebiet zu bestimmen ist, könnte sich der Grundversorgerstatus bei der Zusammenlegung von Netzen im Rahmen einer Kooperation ändern. Wird unter dem Netzgebiet das gesamte von der neuen Netzgesellschaft betriebene Netz verstanden, würde dasjenige Unternehmen Grundversorger für dieses gesamte Gebiet, das die meisten Haushaltskunden versorgt. In der Folge entfiele der Grundversorgerstatus für das andere Unternehmen gänzlich. In der Praxis wird diese Folge meist dadurch vermieden, dass unter dem Netzgebiet nur das Konzessionsgebiet der jeweiligen kooperierenden Unternehmen verstanden wird. Beide Kooperationspartner gelten damit weiter als Grundversorger in ihrem bisherigen Gebiet. Ist die Praxis im betreffenden Bundesland eine andere, kann für das Unternehmen, das seinen Grundversorgerstatus verliert, ein Ausgleich im Innenverhältnis der Kooperationspartner geschaffen werden.

Fazit
Ein exemplarischer Kooperationsprozess zeichnet sich dadurch aus, dass er von allen beteiligten Unternehmen vom Ergebnis her gedacht wird. Welchen Mehrwert möchte ich mit der Kooperation für mein Unternehmen erreichen? Welchen Aufwand bin ich bereit dafür einzugehen? Passt dies zur Gesamtstrategie meines Unternehmens? Diese Fragen machen es möglich, die passende Kooperationsstruktur herauszuarbeiten und an die rechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Einer gewinnbringenden Kooperation steht nichts mehr entgegen.

Hier zur aktuellen Ausgabe der emw