23.04.24, 15:00 von Karsten Wiedemann

Dubai/Berlin (energate) - Unter dem Namen Desertec planten europäische Unternehmen einst den Bau von Erneuerbaren-Kraftwerken in Nordafrika, die Strom für Europa liefern sollten. Das Projekt scheiterte, auch an der hohen Erwartungshaltung, sagt der jetzige CEO von DII Desert Energy, Cornelius Matthes, im Interview mit energate. Darin spricht er darüber, wie die DII mit dem Thema Wasserstoff neu gestartet ist und dabei alte Fehler vermeiden will. 

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energate: Herr Matthes, vor mehr als zehn Jahren ist das als Desertec bekannt gewordene Vorhaben zum großflächigen Transport von Grünstrom aus Nordafrika nach Europa gescheitert. Was waren die Gründe?

Matthes: Gescheitert ist damals eigentlich die hohe Erwartungshaltung und nicht Desertec als grundsätzliche Idee. Zum einen waren sicher auch wir manchmal unrealistisch und ungeduldig, was die Zeitlinien angeht. Dann war es so, dass einige Unternehmen stark auf die Concentrated Solar Power als Technologie gesetzt haben, was sich aber nicht durchgesetzt hat.

Einige größere Partner sind außerdem ausgestiegen, nicht weil sie nicht mehr an die Ziele von Desertec 1.0 geglaubt haben, sondern weil sie Probleme mit Investitionen in ihren Solaraktivitäten mit teilweise großen Verlusten hatten. Sie müssen auch sehen, Europa hatte damals einen großen Energieüberschuss, das Thema Energiesicherheit, das wir vorgebracht hatten, spielte noch keine große Rolle. Dennoch, die Arbeit war nicht umsonst, wie sich schon bald zeigte.

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energate: Inwiefern?

Matthes: Ich wohne seit zehn Jahren in Dubai, schauen Sie, was hier in der Region in den vergangenen Jahren passiert ist. Wir haben mittlerweile weit über 20.000 MW Solar- und Windenergie am Netz, bis 2030 erwarten wir eine Verfünffachung dieser Leistung.

energate: Ein Vorwurf, der damals gegenüber Desertec erhoben wurde, war, dass das Projekt einen neokolonialen Ansatz hatte, sprich die afrikanischen Länder sollten grünen Strom für Europa liefern, ohne selbst etwas davon zu haben. Wie sehen Sie das in der Rückschau?

Matthes: Da haben wohl alle dazu gelernt. Wir haben jedenfalls schnell gemerkt, wie wichtig es ist, mit den Entscheidern in den arabischen Ländern über die Vorteile für die Menschen vor Ort zu sprechen wie Arbeitsplätze und natürlich eine bessere Stromversorgung. Export macht erst Sinn, wenn das gesichert ist. Ich persönlich habe viel im Ausland gelebt und gearbeitet. Insofern bin ich mir sehr bewusst, dass es nicht funktioniert, wenn wir Europäer in ein Land kommen und sagen, so und so hat das zu laufen. Wir müssen bescheidener auftreten, auf die Wünsche der Partnerländer eingehen, gerade auch was lokale Wertschöpfung angeht.

energate: Die DII Desert Energy GmbH existiert weiterhin. Was hat sich verändert?

Matthes: Wir haben uns nach den Erfahrungen mit Desertec 1.0 erstmal von 50 auf 10 Partner verkleinert und sind mit einem Kernteam 2015 nach Dubai gezogen. Es ging darum, aus den Erfahrungen zu lernen und eine neue Mission zu entwickeln. Wir haben Mitte der Zehnerjahre dann angefangen, uns mit Wasserstoff zu beschäftigen.

Seit dem zehnten Geburtstag der DII im Jahr 2019 gehen wir damit stärker in die Öffentlichkeit und gründeten die Mena Hydrogen Alliance. Der Partnerkreis ist inzwischen auf über 110 gewachsen, dazu gehören Unternehmen wie ACWA Power aus Saudi-Arabien, Eon oder RWE oder Verbund. Auch Forschungsinstitutionen wie das Fraunhofer-Institut sind dabei. Wir sind mit 35 Ländern insgesamt deutlich internationaler, aber auch agiler als damals.

energate: Was ist das Ziel Ihrer Arbeit heute?

Matthes: Zunächst, die DII hatte niemals ein Mandat für Projektentwicklung, das wurde, glaube ich, oft missverstanden. Wir verstehen uns als Thinktank. Wir machen Studien zu Themen wie Wasserstoff, Batterien oder Energieinfrastruktur wie auch Stromnetze. Aktuell beschäftigen wir uns etwa im Rahmen der neuen Initiative ZETA (Zero Emission Traders Alliance) damit, wie ein handelbarer Markt für Wasserstoff und zero emission energy entstehen kann.

energate: Wie läuft die Finanzierung?

Matthes: Wir erheben Partnerbeiträge, um unser Team und Studien zu finanzieren. Ein großer Vorteil ist, dass wir bei Studien die Infrastruktur und Expertise vieler unserer Partner mitnutzen können.

energate: Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine rückt Nordafrika, die gesamte Mena-Region, als Energielieferant wieder stärker in den Mittelpunkt. Wie lässt sich ein erneuertes Scheitern von Großprojekten etwa für grünen Wasserstoff verhindern?

Matthes: Klar ist, mit einer belehrenden Art kommen wir nicht weiter. Wir sollten zum Beispiel nicht darauf bestehen, dass etwa alle Moleküle von Anfang zu 100 Prozent grün zu sein haben. Weder Europa noch die Partnerländer sind perfekt. Es geht darum, Partnerschaften auf Augenhöhe zu entwickeln und Kontinuität in den Beziehungen. Es reicht nicht, mal eben einzufliegen. Sie müssen hier Zeit verbringen, auf die Menschen zugehen, dabei viel Tee trinken und Vertrauen aufbauen.

energate: In der frühen Phase des Marktes gibt es viel Unsicherheit. Erzeuger von Wasserstoff wollen gerne die Gewissheit haben, dass es Abnehmer für ihr Produkt gibt in Europa. Wie lässt sich das Vertrauen herstellen zwischen den Marktparteien?

Matthes: Es passiert ja schon einiges. Nehmen Sie H2-Global. Das ist ein guter Ansatz, aber natürlich können darüber nicht alle Mengen abgewickelt werden. Wir sehen auch, dass Unternehmen schon erste Großausschreibungen für Wasserstofflieferungen abgesetzt haben, wie etwa Thyssenkrupp. Insgesamt müssen wir aber noch deutlich "Execution"-freundlicher werden. Wir brauchen mehr mutige Entscheidungen, denn aktuell müssen noch einige Hürden genommen werden.

energate: Wie meinen Sie das?

Matthes: Dass Wasserstoff ein wesentlicher Teil des Energiesystems sein wird, steht außer Frage. Wie es damit vorangeht, zeigen ja allein schon die aktuell 95 Wasserstoffprojekte im Nahen Osten und Nordafrika. Wir sehen aber, dass Vorhaben in Europa langsamer zu Investitionsentscheidungen kommen als geplant. Da wir uns in einem neuen Markt bewegen, ist das auch nicht so ungewöhnlich. Aber für Teile der Wertschöpfungskette bringt das Probleme.

energate: Wie genau?

Matthes: Schauen Sie beispielsweise auf die momentanen Aktienkurse bei großen Elektrolyseuranbietern. Die haben das Problem, dass sie noch kein Geld verdienen. Diese Phase müssen sie überbrücken. Dafür ist es wichtig, dass es in der ganzen Kette, von der Herstellung bis zum Abnehmer, eine nie da gewesene Kooperation der Partner gibt. Hier sehen wir uns als DII auch in einer Enabler-Rolle und Brückenbauer.

energate: Wie lange wird die Phase andauern?

Matthes: Die nächsten ein, zwei Jahre werden eher mühsam, aber meine Erwartung ist, dass wir 2026 in ein exponentielles Wachstum beim Wasserstoffmarkt kommen.

energate: Wir haben nun viel über Wasserstoff gesprochen. Ist die ursprüngliche Desertec-Idee des Grünstromtransports nach Europa vom Tisch?

Matthes: Nein, Stromleitungen werden weiter eine wichtige Rolle spielen. Wir sehen ja, dass bestehende Verbindungen verstärkt werden, etwa zwischen Marokko und Spanien. Neue Vorhaben werden konkreter, etwa zwischen Tunesien und Italien. Auch gibt es Projekte wie Xlinks zwischen Marokko und Großbritannien. Es ist aber so, dass 20 Prozent des Energiesystems in Europa auf Elektronen beruht, 80 Prozent auf Molekülen. Die Energiemenge, die Sie über eine Pipeline transportieren können, ist zudem ein Vielfaches dessen einer Stromleitung.

Das Interview führte Karsten Wiedemann.

Portrait von Karsten Wiedemann
Karsten Wiedemann
Redakteur

Ich bin seit September 2018 Leiter Energiepolitik im Berliner Büro von energate. Von Januar 2014 bis August 2018 war ich Pressesprecher des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft.

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