Berlin (energate) - Das Bundeswirtschaftsministerium hat einen zweiten Stresstest zur Versorgungssicherheit in Deutschland veranlasst. Je nach Ergebnis könnten womöglich die deutschen Kernkraftwerke doch noch länger laufen als geplant. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) appellierte, deswegen keinen "politischen Streit des Streits wegen zu säen". Oberstes Ziel sei die Sicherung der Energieversorgung. Gefordert sind jetzt die vier Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz, Amprion, Tennet und Transnet BW. Sie sollen die Versorgungssicherheit im Stromsektor und den sicheren Betrieb des Netzes unter nochmals verschärften Annahmen überprüfen, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Dazu gehören zum Beispiel höhere Preisannahmen als im ersten Stresstest von 200 Euro/MWh, ein noch gravierenderer, völliger Ausfall von Gaslieferungen aus Russland und ein stärkerer Ausfall von französischen Atomkraftwerken.
Sorgenkind Süddeutschland
Ein besonderer Fokus soll diesmal auf Süddeutschland liegen. Dort gebe es neben Gaskraftwerken nur wenige Kohlekraftwerke und im Vergleich zu anderen Bundesländern wenig Windenergieanlagen. Süddeutschland ist von Stromlieferungen aus Nord- und Ostdeutschland abhängig. Habeck räumt ein, dass das ein Problem sei: Der "verzögerte Netzausbau und der mangelnde Ausbau von Windkraft" seien eine besondere Herausforderung. "Wie groß sie ist, darüber wird die neue Berechnung der Übertragungsnetzbetreiber Auskunft geben", so der Minister.
Laufzeitverlängerung: Test muss abgewartet werden
Dass deshalb die drei verbliebenen Kernkraftwerke trotz beschlossenem Ausstieg über das Jahresende hinaus noch am Netz sein könnten, ist nicht hundertprozentig ausgeschlossen. Aktuell sei eine Laufzeitverlängerung zwar keine Option, wie ein Sprecher des Umweltministeriums am 18. Juli erklärte. Es gelte nach wie vor der entsprechende Prüfvermerk der Ministerien für Wirtschaft und Umwelt vom März dieses Jahres.
Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums verwies jedoch auf den zweiten Stresstest: "Es muss eben das klare Ergebnis abgewartet werden." Einen Zeitpunkt, bis zu dem die Frage der Laufzeitverlängerung entschieden sein müsse, gebe es dagegen nicht, so die Sprecherin weiter. "Wir müssen auf Basis von klaren Fakten entscheiden." Aber: Schon der erste Test habe gezeigt, dass die Gesamtversorgungssicherheit in Deutschland weiterhin gewährleistet ist.
Ergebnisse in den nächsten Wochen
Wie Habeck zuvor betonte, ist die Versorgung mit Strom nicht das Hauptproblem. "Wir haben ein Gasproblem, beim Strom sieht es anders aus." Auf Basis des neuen Tests sollen nun weiter die nötigen Vorkehrungen getroffen werden, um Deutschland winterfest zu machen: "vom Ausbau einer Flüssigerdgas-Infrastruktur und der Ersatzbeschaffung von Gas über den Ausbau der Erneuerbaren bis hin zur Einsparung von Energie". Die Sprecherin seines Hauses kündigte an, dass der zweite Stresstest in den nächsten Wochen finalisiert und dann auch vorgestellt werde. /dz