03.07.23, 09:13 von Irene Mayer-Kilani und Christian Seelos

Wien (energate) - Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) leitet das umfangreiche Ressort seit 2020. Zuvor war die Politikerin Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000.  Die außergewöhnliche Situation am Energiemarkt im vergangenen Jahr erforderte ihren ganzen Einsatz. Mit energate sprach sie über ihre Pläne zum russischen Gasausstieg, Wege zur Gasdiversifizierung und eine mögliche Verstaatlichung der OMV.

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energate: Frau Ministerin Gewessler, während Deutschland inzwischen weitgehend ohne russisches Erdgas auskommt, ist die Abhängigkeit Österreichs von russischen Gaslieferungen weiterhin hoch. Was tun Sie dagegen?

Gewessler: Wir haben im letzten Jahr alle gesehen, wie gefährlich und schmerzhaft diese Abhängigkeit ist. Deshalb haben wir viele gesetzliche Maßnahmen auf den Weg gebracht, die auch Wirkung zeigen. Wir haben den Winter ohne Versorgungskrise überstanden, die Gasspeicher sind zum jetzigen Stand sehr gut befüllt und die Preise sind inzwischen wieder auf einem deutlich niedrigeren Niveau als vor einem Jahr. Trotzdem besteht weiterer Handlungsbedarf. Der Anteil russischer Gaslieferungen liegt noch immer über 50 Prozent, das ist zu viel. Deshalb habe ich gemeinsam mit Experten Vorschläge vorgelegt, wie wir die Gasabhängigkeit von Russland weiter verringern können.

energate: Welche Pfade zur Diversifizierung der Gasbeschaffung wollen Sie einschlagen?

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Gewessler: Österreich hat als Binnenland natürlich keinen direkten Zugang zu den LNG-Terminals, das ist unser geografischer Nachteil. Wir laden die Versorger aber offensiv ein, die verfügbaren und neu entstehenden Kapazitäten - etwa in Deutschland und in Italien - bestmöglich zu nutzen. Dafür benötigen wir Durchleitungskapazitäten. Diese hat die OMV für ihre Kunden gebucht und wir gehen davon aus, dass das auch weiterhin passiert.

Erfreulich ist, dass sich die österreichischen Versorger in nennenswertem Umfang an der gemeinsamen europäischen Gasbeschaffung beteiligt haben. Mehr als zehn Prozent des österreichischen Jahresbedarfs wurden dafür eingemeldet. Es ist aber klar, dass die Umstellung der Gasbeschaffung Auswirkungen auf die Kosten hat. LNG-Importe sind teurer als Pipeline-Gas, Leitungsgebühren kosten. Deshalb haben wir mit dem Gasdiversifizierungsgesetz ein Instrument beschlossen, das diese Kostenunterschiede durch staatliche Unterstützung verringert. Dafür stellen wir in den nächsten Jahren jeweils 100 Mio. Euro zur Verfügung.

energate: Reicht das, um die Wirtschaft spürbar zu entlasten?

Gewessler: Für die 100 Mio. Euro im Gasdiversifizierungsgesetz können wir das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Die Antragsphase läuft noch. Daneben wurde im letzten Jahr eine Vielzahl von Unterstützungsleistungen beschlossen. Die Abkehr vom russischen Gas ist ein Kraftakt. Dazu müssen alle ihren Beitrag leisten, das muss allen bewusst sein.

energate: Viele Industrievertreter sehen es aber als illusorisch an, dass Österreich ganz auf russisches Gas verzichten kann.

Gewessler: Es ist gerade die österreichische Industrie, die am stärksten von dieser Unsicherheit und dem Risiko, dass Russland das Gas abdreht, betroffen ist. Dieses Risiko besteht weiterhin, es ist genauso akut wie letztes Jahr. Wir haben einen ambitionierten Plan vorgelegt, wie der Ausstieg bis 2027 gelingen kann. Dazu müssen alle mithelfen. Ich halte das auch aus vielerlei Gründen für geboten. Ansonsten tragen Industrie und Haushalte weiter das Risiko und das ist keine Option.

energate: Auf der anderen Seite beklagen Industrie und Wirtschaft, dass ein konkreter Plan zum Ausstieg aus russischen Gaslieferungen fehlt.

Gewessler: Wir sind weiterhin im Dialog mit der Branche, weil alle ihren Beitrag liefern müssen. Das war genau der Zweck des jüngsten Round Tables mit den Gasversorgern. Wir wissen, Russland ist eine unsichere Versorgungsquelle. Das Risiko ist noch nicht gebannt. Ex-OMV-Chef Gerhard Roiss und Ex-E-Control-Chef Walter Boltz haben deshalb in meinem Auftrag weitere Vorschläge unterbreitet, die im Sinne der Versorgungssicherheit beispielsweise vorsehen, die Gassparte der OMV temporär in die Oebag zu übertragen. So hätte der Staat die Möglichkeiten, steuernd einzugreifen.

energate: In Deutschland sind die großen Gasimporteure inzwischen in staatlicher Hand. Sie würden diesen Weg auch in Österreich gehen wollen?

Gewessler: Der Gasmarkt ist ein liberalisierter Markt. Da agieren Marktakteure, die ihre Verantwortung übernehmen müssen. Dort, wo das nicht passiert, greifen wir ein. So haben wir ein Gesetz erlassen, das Gazprom aus dem Speichermarkt drängte. Auch die Diversifizierung der Gasbeschaffung und die Versorgungssicherheit sind ganz zentrale Aufgaben. Der Staat hat darauf aber keinen Zugriff. Wenn wir staatlicherseits Bezugsquellen mitbestimmen wollen, brauchen wir dafür auch ein Instrument. Dem dient der Vorschlag, die Gassparte der OMV temporär in die Oebag - die staatliche Beteiligungsverwaltung - zu übernehmen und so die gewünschten Steuerungsmöglichkeiten zu schaffen. OMV-Chef Stern selbst zeigte sich in der Vergangenheit dafür offen. Mir ist wichtig, dass wir vor der nächsten Heizsaison nächste Schritte für die Versorgungssicherheit setzen.

energate: Die Gaskrise war in den zurückliegenden Monaten das dominierende Thema. Die Energiebranche wartet aber auch auf viele andere politische Weichenstellungen und klagt teilweise darüber, dass wichtige Gesetze wie das Grüne-Gase-Gesetz oder das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG) noch nicht vorliegen. Warum dauert das so lange?

Gewessler: Als ich mein Amt übernommen habe, gab es insbesondere im Energiebereich einen großen Reformstau. Diesen bauen wir jetzt ab, mit dem Erneuerbaren-Ausbaugesetz, mit dem Energieeffizienzgesetz oder mit dem neuen Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz. Wir sehen die Effekte: Wir haben einen Rekordausbau bei der Photovoltaik, die Stromproduktion aus Photovoltaik hat sich in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt. Trotzdem können wir uns nicht zurücklehnen, denn mit den Rahmensetzungen des fossilen Zeitalters werden wir die Klimaneutralität nicht erreichen. Viele neue Gesetzesvorhaben sind in Arbeit. Wir brauchen im Parlament aber für fast alle Energiegesetzgebungen eine Zweidrittelmehrheit. Das macht es nicht einfach. Zudem müssen wir divergierende Interessen, etwa der Industrie oder der Landwirtschaft, unter einen Hut bringen.

energate: Divergierende Interessen hätten die gesetzliche Weichenstellung zur Dekarbonisierung des Wärmemarktes in Deutschland jüngst fast zum Scheitern gebracht. Ziehen Sie aus der dortigen Debatte Schlüsse für die Gesetzgebung in Österreich?

Gewessler: Wir haben in Deutschland eine Kampagne gesehen, die einzig zum Ziel hatte, Verunsicherung zu schüren. Natürlich heißt Klimaneutralität Veränderung. Aber mit jeder Gasheizung, die aus dem Markt geht, lösen wir uns aus der Umklammerung Russlands und den damit verbundenen Kosten. Der Unterschied zur deutschen Wärmegesetzgebung ist, dass wir die Förderkulisse frühzeitig aufgestockt haben. Einkommensschwache Haushalte erhalten beim Heizungstausch bis zu 100 Prozent Förderung. Wir haben Rekordansuchen für die Förderung. Wir haben in Österreich noch nie so viele Gas- und Ölheizungen ersetzt wie aktuell. Die Abhängigkeit von fossilen Energien ist ein Problem - jetzt und in Zukunft.

energate: Dennoch entstehen in der Phase des Umbaus hohe Kosten. Wie wollen sie dem begegnen?

Gewessler: Ganz im Gegenteil. Es sind die fossilen Energien, die hohe Kosten verursachen. Das haben wir im letzten Jahr massiv gespürt. Die fossile Abhängigkeit hat uns auch im Strombereich in die hohen Preise getrieben. Der Weg aus der Kostenfalle und der Energieabhängigkeit ist der Ausbau der Erneuerbaren. Das wird uns langfristig stabile Preise und Unabhängigkeit bringen.

energate: Stichwort Strompreisbremse, die ja 2024 endet. Sehen sie Bedarf für eine Verlängerung?

Gewessler: Wir sehen, dass sich die Preise jetzt wieder verändern. Der Energiemarkt ist in Bewegung. Einerseits sind die Großhandelspreise gesunken, andererseits sehen wir, dass politischer Druck wirkt. Wenn Preiserhöhungen schnell weitergegeben werden, muss das auch für Preisreduktionen gelten. Das nehmen die Bundeswettbewerbsbehörde und die E-Control jetzt genau in den Blick. Die Strompreisbremse wiederum ist eine Reaktion auf ein außergewöhnlich hohes Preisniveau. Wir werden nächstes Jahr evaluieren, wo wir stehen. Wir hatten gerade wieder eine unsichere Situation (Anm. Aufstand der Wagner-Söldnertruppe gegen Moskau). Die Situation international ist volatil. Da kann sich vieles schnell ändern.

energate: Wie ist der Stand beim Erneuerbaren-Gase-Gesetz? Damit wird der Ausbau der heimischen Biogasproduktion bis 2030 fixiert. Insgesamt sollen in Österreich dann jährlich mindestens 7,5 TWh grünes Gas in das Gasnetz eingespeist werden.

Gewessler: Das Gesetz war in Begutachtung. Da gab es eine Vielzahl von Rückmeldungen, die sind jetzt eingearbeitet. Das Gesetz befindet sich in der regierungsinternen Koordinierung. Ich hoffe, dass wir sehr bald mit einer Regierungsvorlage ins Parlament gehen können. Der Weg zur Unabhängigkeit von Russland hat drei Säulen. Einerseits Gas sparen. Wir konnten im vergangenen Winter den Gasverbrauch, um fast 20 Prozent zu senken. Das ist mehr als der europäische Durchschnitt. Der ambitionierte Erneuerbarenausbau ist als zweite Säule genauso wichtig. Deswegen müssen wir erneuerbare Gase ins Netz bringen. Der dritte Teil ist die Diversifizierung im fossilen Sektor. Langfristig heißt Klimaneutralität natürlich raus aus den fossilen Gasen.

energate: Wie blicken Sie auf die Versorgungslage im nächsten Winter?

Gewessler: Wir haben derzeit einen Speicherfüllstand von 80 Prozent. Das hatten wir letztes Jahr erst im Oktober erreicht. Wir hatten in den vergangenen Jahren zu diesem Zeitpunkt durchschnittlich nur einen Speicherfüllstand von 33 Prozent. Gut gefüllte Speicher sind unser Sicherheitspolster. Ich blicke zuversichtlich auf den kommenden Winter. Aber wir sind in einer geopolitisch instabilen Situation. Wir dürfen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen.

energate: Frau Gewessler, wir danken Ihnen für das Gespräch. 

Das Interview führten Irene Mayer-Kilani und Christian Seelos im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie in Wien.