"Der Kohleausstieg macht uns nicht nervös." | emw Interview mit Frank Mastiaux

Das Interview mit Frank Mastiaux, Vorstandsvorsitzender der EnBW, führte energate-Redakteurin Michaela Tix.

Durch den Kohleausstieg werden die Karten der deutschen Kraftwerksbetreiber neu gemischt. Die Kräfteverhältnisse ändern sich, die Energielandschaft kommt einmal mehr in Bewegung. Im e|m|w-Interview erläuterte der Vorstandsvorsitzende der EnBW, Frank Mastiaux, warum er ein gutes Blatt in seinen Fingern hält. Aber auch die Strategie der EnBW bei den deutschlandweit ersten förderfreien Solarprojekten und dem lang erwarteten Smart-Meter-Rollout kommen zur Sprache.

e|m|w: Wie nervös machen Sie die Empfehlungen der Kohlekommission – werden auf den Konzern Einschnitte zukommen?

Mastiaux: Die Empfehlungen der Kommission machen uns keineswegs nervös, im Gegenteil: Sie bieten aus meiner Sicht eine gute Basis für eine langfristig verlässliche und gesellschaftlich breit akzeptierte Lösung zum Ausstieg aus der Kohle. Und sie bestärken uns, die Dekarbonisierung weiter mitzugestalten. Wie viele andere Marktteilnehmer auch war die EnBW im konventionellen Kraftwerksbereich bereits vor Jahren durch die Marktpreisentwicklung und deutlich rückläufige Betriebsstunden wirtschaftlich unter Druck gekommen. Auf diese Entwicklung haben wir frühzeitig reagiert: Wir haben in den vergangenen Jahren Anlagen im großen Umfang stillgelegt und sind auch aus Verträgen ausgestiegen. Insgesamt haben wir unser Portfolio seit 2012 um rund 2.600 Megawatt bei den CO2-intensiven Erzeugungsanlagen reduziert. Das entspricht einem Rückgang von fast 40 Prozent.

e|m|w: Sind alle Hausaufgaben gemacht oder stehen weitere Stilllegungen an?

Mastiaux: In der Tat haben wir schon eine Menge an Hausaufgaben erledigt. Mit dem aktuellen Kraftwerkspark lässt sich gut wirtschaften, Effizienzmaßnahmen wurden umgesetzt, Instandhaltungen zusammengelegt. Aber noch immer prüfen wir monatlich und standortscharf die Ertragslage.

e|m|w: Das hört sich so an, als ob sie noch länger mit dem Kohlekraftwerk RDK8 in Karlsruhe planen?

Mastiaux: In der Tat. Als eines der modernsten und effizientesten Kraftwerke Europas, das zudem in erheblichem Umfang Fernwärme für die Region auskoppelt, wird der Block acht unseres Rheinhafen-Dampfkraftwerks aus unserer Sicht noch viele Jahre laufen. Aber bekanntlich beinhalten die Empfehlungen der Kohlekommission noch gar keinen konkreten Pfad zur Stilllegung einzelner Kraftwerke. Wir gehen allerdings schon davon aus, dass die Bundesregierung Kriterien wie geringe Emissionsintensität oder Wärmeversorgung entsprechend berücksichtigen wird. Neben RDK 8 bieten auch weitere EnBW-Standorte gute Bedingungen, so zum Beispiel die Fernwärmeauskopplung beim GKM in Mannheim oder beim Kraftwerk Lausward unserer Tochter Stadtwerke Düsseldorf.

e|m|w: Als staatlich kontrolliertes Unternehmen dürften Ihnen Entschädigungsforderungen, wie bereits beim Kernenergieausstieg zu beobachten war, schwerer fallen…

Mastiaux: Zunächst einmal: Die EnBW ist ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen – mit dem Land Baden-Württemberg und einem Zweckverband oberschwäbischer Landkreise als den beiden Hauptaktionären. Als Aktiengesellschaft führen wir das Unternehmen also nach wirtschaftlichen Kriterien. Und unsere Gesellschafter müssen ihre Finanzierung ebenso stemmen wie andere private Unternehmen. Deshalb haben sie ein Recht darauf, fair und gleich behandelt zu werden.

e|m|w: Am Standort Gaisburg in Stuttgart hat EnBW ein altes Steinkohlekraftwerk durch Gasmotoren mit einer Leistung von 30 MW ersetzt. Werden weitere Fuel Switches dieser Art folgen?

Mastiaux: Gas ist der nächste und für einen gewissen Zeitraum auch noch unverzichtbare fossile Energieträger, um die Energiewende ohne Kohleverstromung stemmen zu können. Ohne konventionelle Kraftwerke werden wir unsere Energieversorgung nicht aufrechthalten können. Die Frage ist nur, wie lange es dauern wird, die Erneuerbaren weiter hinreichend auszubauen und die erforderlichen Leitungen zu legen. Für diese Übergangszeit werden wir Gaskraftwerke brauchen. Aktuell sehe ich allerdings keine wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für weitere Fuel Switches nach Gaisburg – auch wenn an einigen Standorten die technischen Voraussetzungen stimmen.

e|m|w: Das heißt, die seltenen Preisspitzen im Strommarkt reichen nicht?

Mastiaux: Im Augenblick gibt es kein nachhaltig tragfähiges Geschäftsmodell. Ein Beleg dafür ist, dass so manch modernes Gaskraftwerk stillgelegt wird. Die Politik muss erkennen, dass trotz dieser Stilllegungen auf der einen Seite auf der anderen Seite Inbetriebnahmen erforderlich sind.

e|m|w: Der EnBW-Handel hat vor Kurzem einen ersten langfristigen Stromabnahmevertrag für einen förderfreien Solarpark in Marlow-Dettmannsdorf abgeschlossen. Wie wichtig werden diese sogenannten Power Purchase Aggreements (PPA) in den kommenden Jahren und welche Risiken stehen dahinter?

Mastiaux: In vielen anderen Märkten wie den USA sind PPAs bereits Standard. In Deutschland ist das Instrument durch die EEG-Förderung zwar kaum verbreitet, aber wir sehen eine steigende Bedeutung. Auf der einen Seite interessieren sich immer mehr Unternehmen dafür, Erneuerbaren-Strom zu handeln. Auf der anderen Seite stehen die Verkäufer, die das Marktpreisrisiko vermeiden wollen. Die damit verbundenen Risiken hängen stark von der Ausgestaltung solcher Verträge ab. Bei einem Vertrag beispielsweise auf Festpreisbasis übernimmt der Abnehmer das Risiko volatiler Marktpreise. Genau dieses Management von Marktpreisrisiken wiederum ist eine der Kernkompetenzen der EnBW.

e|m|w: Wird EnBW auf beiden Seiten aktiv werden? Mastiaux: Wir sind auf beiden Seiten aktiv, im Bereich PPA für andere und in der Eigenvermarktung. So wird der EnBW-Handel auch die Vermarktung der Strommengen aus unserem angekündigten 175-MW-Solarpark Weesow übernehmen. Hierfür existieren verschiedene Möglichkeiten, darunter die Belieferung von Vertriebskunden, Verkauf am Großhandelsmarkt oder auch der Abschluss eines oder mehrerer Langfristverträge (PPA) mit einem oder mehreren Partnern. Auf der anderen Seite werden wir natürlich auch PPAs nutzen, um damit unser Erzeugungsportfolio grüner zu machen. Grundsätzlich sehe ich PPA für bestimmte Partner oder Zielgruppen geeignet, andere werden wohl eher abwinken. Mittelfristig könnten solche Stromlieferverträge auch für den Bau von Windparks interessant werden.

e|m|w: Werden nach der Ankündigung des förderfreien Solarparks in Brandenburg in den kommenden Monaten noch andere folgen?

Mastiaux: Ja, EnBW wird die Solarenergie neben Windkraft an Land und auf See zur dritten Säule ihres Erneuerbaren-Portfolios ausbauen. Aktuell haben wir Solaranlagen mit rund 100 MW in Betrieb. Seit dem vergangenen Jahr haben wir jedoch in relativ kurzer Zeit eine Projektpipeline mit 800 MW aufgebaut, darunter zwei weitere PV-Projekte in einer ähnlichen Größenordnung und ähnlichem Reifegrad wie der geplante 175-MW-Park in Weesow-Willmersdorf.

e|m|w: EnBW gehört neben Eon und RWE zu den ersten Unternehmen, die erstmals einen zertifizierten Smart Meter eingebaut haben. Mit welcher Dynamik geht EnBW diesen neuen Markt an? Mastiaux: Mit dem Start ins digitale Messwesen bekommen wir erstmals eine Schnittstelle zum Kunden, die den Datentransfer in beide Richtungen in Realtime ermöglicht. Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Geschäftsmodell ist zunächst, dass sich der Kunde in puncto Datenschutz zu 100 Prozent sicher fühlt. Die intelligenten Messsysteme werden uns auch helfen, den Energieverbrauch ganz anders zu steuern und unsere bisher nur schematische Vorstellung vom Verbrauchsverlauf in Privathaushalten, in Kommunen und im Gewerbe zu verfeinern.

e|m|w: Ihr Konkurrent Eon besetzt das Thema mit Hochdruck und könnte durch die Transaktion mit Innogy auf einen Schlag knapp 40 Prozent der digitalen Zählerstruktur auf sich vereinen. Wie stark werden Sie den Markt besetzen?

Mastiaux: Wir sind in den Markt sehr früh eingetreten und haben einen der ersten und größten Feldtests mit 1.500 Messstellen in über 100 Kommunen realisiert. Auch ist EnBW als Gateway-Administrator zertifiziert und als Spieler im Markt gut aufgestellt. Wir werden jetzt genau verfolgen, wie sich der Markt nach dem offiziellen Startschuss des Rollouts entwickelt. Dann sehen wir weiter.

e|m|w: Wie groß sind Ihre Bedenken bei der Neuaufstellung der beiden Konzerne RWE und Eon, die sich Vertrieb, Netze und Erzeugung neu aufteilen?

Mastiaux: Ob dort ein übergroßer Wettbewerber entsteht, muss kartellrechtlich genau angesehen und geprüft werden. Das erwarte ich auch. Ob durch das bloße Austauschen von Geschäftszahlen und -bereichen jedes Geschäft an sich wirklich besser wird, bleibt abzuwarten. Diese organisatorischen Einschnitte kosten sehr viel Zeit und Kraft. Wir selbst wissen, was eine inhaltliche Neuaufstellung und Fortentwicklung bedeutet. Unsere konventionelle Erzeugung haben wir seit 2012 stark umgebaut, das Segment macht inzwischen nur noch ein Viertel des Ergebnisses aus. Gleichzeitig haben sich die Erneuerbaren im Portfolio vervierfacht. Da hat also ein gewaltiger Umbau stattgefunden und ich bin mit Blick auf die Bilanz 2018 auch sehr froh, dass wir über die gesamte Wertschöpfungskette aufgestellt sind. Dieses Mal konnte das Netzgeschäft die wegen Wetterbedingungen schlechtere Produktion der Erneuerbaren ausgleichen. Es gibt immer wieder Jahre, wo einzelne Segmente schlechter laufen und in denen unsere breite Aufstellung sehr hilft.

e|m|w: Herr Mastiaux, ich danke Ihnen für das Gespräch.

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