12.02.24, 15:43 von Michael Hahn

Berlin (energate) - Die energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Nina Scheer, spricht sich im energate-Interview dafür aus, die Schuldenbremse auch für 2024 auszusetzen. Angesichts der aktuellen Krisen würde es weniger Schaden verursachen, auch mit geliehenem Geld zu investieren. Sie fordert ferner einen Schutzschild und Resilienzregelungen für die Solarwirtschaft. Auch die Windenergie brauche mehr Verlässlichkeit.

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energate: Sie haben vergangenes Jahr gegenüber energate gefordert, dass es noch 2023 einen Schutzschild für die Solarwirtschaft brauche. Daraus wurde bekanntlich nichts. Woran ist der Schutzschild gescheitert?

Scheer: Gescheitert wäre ja etwas Abschließendes. Aber zugegeben: Für 2023 ist es leider nicht gelungen. Die SPD fordert ganz klar einen solchen Schutzschild und Resilienzregelungen für die Solarwirtschaft. Auch die Grünen fordern Maßnahmen. Die Verhandlungen laufen hierzu aber noch.

energate: Wie sollten die Resilienzregelungen gestaltet sein?

Scheer: Sie müssen einfach anwendbar sein. Deswegen scheint es mir naheliegend, dass man an die bestehenden Fördersysteme anknüpft. Die Vorschläge des BSW treffen das vom Grundsatz her schon ganz gut. Diese sehen Resilienzausschreibungen für alle Anlagen über 1.000 kW vor. Für alle kleineren Anlagen bräuchte es Boni, weil es für dieses Segment ansonsten kein Instrument gäbe. Es zählt am Ende aber nicht das Modell, sondern das Ergebnis.

energate: Es gibt aber auch Branchenakteure, die diese Endkundenboni ablehnen

Scheer: Es ist immer die Frage, welcher Prämisse man folgt. Wenn alles so billig wie möglich sein soll, dann kann eine solche Förderung dem möglicherweise nicht entsprechen. Wenn wir mit dem Instrument aber die Herstellung und Weiterentwicklung von Solartechnik weiter in Deutschland und Europa halten wollen, wenn wir uns nicht der kompletten Abhängigkeit preisgeben und uns Entwicklungspfade offenhalten wollen, dann ist das nicht rein marktmäßig zu bewerten, sondern nach Maßgaben der Energiesicherheit. Dann rechtfertigt das auch solche Instrumente.

energate: Der Hersteller Meyer Burger hat angekündigt, womöglich ein Werk in Deutschland schließen zu wollen. Kommt die Unterstützung für die Branche nicht viel zu spät?

Scheer: Ich hätte eine Resilienzregelung gerne früher verständigt. Nach meiner Kenntnis ist es aber nach wie vor aktuell und betrifft auch weitere Unternehmen.

energate: Das Solarpaket I soll nun noch im Februar verabschiedet werden…

Scheer: Es wird aktuell verhandelt.

energate: Auch die Windindustrie fordert Hilfen durch die Politik. Wie könnten die aussehen?

Scheer: Bei der Windenergie brauchen wir ebenso mehr Verlässlichkeit, wie es perspektivisch weitergeht. Die letzten Jahre waren sehr unsicher. Und wir können nicht ignorieren, was mit wettbewerbsverzerrenden Instrumenten wie etwa dem Inflation Reduction Act in den USA passiert. Oder mit wettbewerbsrelevanten Maßnahmen anderer Länder. Das gilt es, im Blick zu behalten. Unsere Förder- und Aufbauinstrumente müssen so gestaltet sein, dass wir auch mit Blick auf solche wettbewerblichen Entwicklungen krisenfest sind.

energate: Der Windenergieanlagenhersteller Vestas hat in der Vergangenheit ein Rotorblattwerk in Brandenburg geschlossen und will jetzt zwei neue Werke für Offshore-Anlagen in Polen bauen. Sind unsere Nachbarländer weiter, was Anreize für die Ansiedlung von Unternehmen angeht?

Scheer: Da kommen immer verschiedene Dinge zusammen. Es gibt Faktoren, die wir auch aus Gründen der Nachhaltigkeit oder für eine langfristige Stabilität des Landes machen. Dazu gehört, dass wir soziale Bedingungen und ökologische Standards einhalten. Das stellt jedoch häufig ein Wettbewerbshindernis dar und ist herausfordernd. Andererseits darf man davor nicht einknicken, weil das dann eine Abwärtsspirale wäre, die man nicht will. Deswegen wird es immer wichtiger, Zielvorgaben in der politischen Ausformulierung so zu gestalten, dass wettbewerbliche Effekte, dass Resilienzfaktoren beachtet und in die Rahmenbedingungen integriert werden. Damit die eigenen Maßgaben, Werte und Nachhaltigkeitsziele nicht konterkariert werden.

energate: Die FDP hat dem Klimageld in dieser Legislatur eine Absage erteilt, was für viel Kritik von Verbraucherschützern und Verbänden sorgt. Die Grünen würden es gerne früher einführen. Wo steht die SPD?

Scheer: Wir erwarten, dass das Klimageld in dieser Legislaturperiode machbar wird. Das hängt aber von dem Auszahlungsmechanismus ab, der noch entwickelt bzw. umgesetzt werden muss. Es muss auch klar sein, dass das Geld, das ja über den CO2-Preis eingenommen wird, auch verfügbar ist. Es kann im Ergebnis nicht sein, dass auf das Beibehalten der Schuldenbremse verwiesen wird und Geld, das wir für das Klimageld brauchen, anderweitig verwendet wird. Auf ein Klimageld hat sich die Ampel mit dem Koalitionsvertrag verständigt. Angesichts der multiplen Krisen, die derzeit herrschen, müssen wir die Schuldenbremse reformieren und sie unter Verweis auf die herausfordernden Krisen für 2024 aussetzen. Letzteres könnten wir auch innerhalb der Koalition machen.

energate: Beim Klimageld geht es auch um Akzeptanz für Klimaschutz in der Bevölkerung…

Scheer: Wir haben gesehen, dass der CO2-Preis sehr schnell ein sehr labiles Klimaschutzinstrument ist. Nämlich dann, wenn die Energiepreise verrücktspielen. Dann kann eine Regierung kaum anders reagieren als mit Energiepreisbremsen. Dann noch den CO2-Preis zu erhöhen, funktioniert einfach nicht. Deshalb ist der CO2-Preis in solchen Krisensituationen ein ganz angreifbares Instrument. Wenn dieses nicht gefährdet sein soll, dann muss es mit Entlastungen kombiniert werden.

energate: Wäre es sinnvoll, eine weitere Notlage auszurufen, um die Schuldenbremse aufzuheben?

Scheer: Das wurde von der SPD ja bereits frühzeitig bejaht. Wir brauchen zudem ein Sondervermögen für Klimaschutz und Transformation. Dafür bräuchte es die Zustimmung der Opposition, weil es sich um eine Grundgesetzänderung handelt - genauso bei der Reform der Schuldenbremse, anders als bei der Aussetzung. Durch den aktuell eingeschlagenen Weg, Geld einzusparen, ist in den Hintergrund gerückt, welche immensen Investitionsbedarfe wir haben. Eine Verteilung der verfügbaren Haushaltsmittel allein greift zu kurz. Angesichts der Krisen verursacht es weniger Schaden, auch mit geliehenem Geld zu investieren als an der heutigen Schuldenbremse festzuhalten.

energate: Auch mit Blick auf die EU-Klimaziele könnte es teuer werden. Weil Deutschland diese wahrscheinlich verfehlt, drohen dem Bundeshaushalt Belastungen in Milliardenhöhe durch Zertifikate-Zukauf…

Scheer: Die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen muss beendet werden. Das würde sich in vielerlei Hinsicht lohnen: was die Zertifikate angeht, aber auch mit Blick auf Klimafolgeschäden, oder Klimaflüchtlinge. Die Erneuerbaren sind die günstigste Form der Energiegewinnung - auch wenn die Systemkosten einbezogen werden. Es wird uns heftigst auf die Füße fallen, wenn wir diesen Transformationsprozess jetzt nicht schnell angehen. Wenn dafür Kredite erforderlich sind, dann ist das eben die Rechnung.

energate: Eine weitere Option ist, die klimaschädlichen Subventionen abzubauen. Die Möglichkeiten sind in dem Bereich noch lange nicht ausgeschöpft, sagen Experten…

Scheer: …etwa mit Blick auf das Dienstwagenprivileg. Beim Abbau der klimaschädlichen Subventionen muss man die Handlungsfähigkeit der Akteure beachten. Der Umstieg muss ermöglicht werden. Es ist unsere Aufgabe, die Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften zu schaffen, so etwa auch für die Landwirtschaft; dann kann sie auch gut auf die Subvention verzichten. Es muss in dieser Kombination laufen, sonst schafft man Leerstellen und keine Transformation.

energate: Ist in der nächsten Legislatur eine Neuauflage der Ampel denkbar?

Scheer: Was wir im Energiebereich, etwa mit dem Osterpaket, aber auch vielen weiteren Regelungen geschaffen haben, das lässt sich sehen, ebenso die Krisenbewältigung. Insofern finde ich es sehr bedauerlich, dass wir diesen Pfad aktuell über die Frage der Investitionsfähigkeit verlassen haben. Davon sind auch schon spürbare Maßnahmen betroffen, etwa die Energiepreisbremsen oder der Zuschuss zu den Netzentgelten oder auch weitere Anreize für die Energiewende. Da steckt dann auch staatliche Verantwortung hinter.

energate: Welche großen Projekte für den Energiebereich stehen in dieser Legislatur noch auf der Agenda der Ampel? Abgesehen von den Solarpaketen.

Scheer: Sowohl weitere Pakete im Bereich erneuerbare Energien; weitere Schritte zum Hochlauf von grünem Wasserstoff; Maßgaben zur Reform des Strommarktdesigns; die Biomassestrategie steht noch aus; Entwicklungen im Zusammenhang mit der angekündigten Carbon-Management-Strategie; das Klimaschutzgesetz ist im parlamentarischen Verfahren - es bleibt viel zu tun.

Das Interview führte Michael Hahn.

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Michael Hahn
Redakteur

Ich bin seit Juni 2023 Redakteur im Berliner Büro von energate. Dort beschäftige ich mich neben allen politischen Themen mit den Bereichen erneuerbare Energien - besonders Windenergie - oder Wasserstoff, Digitalisierung und Mobilität. Seit 2015 war ich für das Fachmagazin neue energie tätig, zunächst als Volontär, dann als Redakteur.

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