25.08.23, 15:27 von Peter Martens

Wien/Kiew (energate) - Die Regierung der Ukraine hat wiederholt bekräftigt, den Vertrag mit Russland über den Gastransit in die EU über 2024 hinaus nicht verlängern zu wollen. Das müsse jedoch keineswegs das Ende russischer Gaslieferungen nach Europa bedeuten, erklären Marktexperten in Österreich gegenüber energate. Der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko betonte zum Thema: "Wir werden definitiv nicht an Verhandlungen mit den Russen teilnehmen, das ist absolut klar." Auch Russland könne diesen Vertrag jederzeit kündigen, so Haluschtschenko gegenüber dem ukrainischen Dienst des US-amerikanischen Auslandssenders "Voice of America".

Spekulationen um Lieferstopp nach 2024

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Der Transitvertrag läuft regulär Ende 2024 aus. Er ist die zentrale rechtliche Grundlage für die ukrainischen Durchleitungen aus Russland nach Österreich und in zahlreiche Länder Ost- und Südosteuropas. Der Anteil Russlands an der Gasversorgung zahlreicher Mitgliedsländer der EU bleibt trotz aller Bemühungen um alternative Lieferquellen hoch - weil die Diversifizierung der Lieferquellen weiterhin im Aufbau ist und Lieferrouten für LNG fehlen.

In Österreichs Gasimporten etwa schwankt der Anteil des russischen Gases zwischen 50 und 80 Prozent. Entsprechend dramatisch wäre ein Lieferstopp nach Ende des Transitvertrags. Genau davor hatte Anfang Juni der frühere OMV-Chef Gerhard Roiss gewarnt.

Gastransit auch ohne Transitvertrag möglich

Es ist allerdings zu erwarten, dass Gas auch nach dem Auslaufen des Transitvertrags in westliche Richtung fließt. Das deutet Minister Haluschtschenko in seinem jüngsten Interview zum Thema selbst an: "Es kommt mir etwas verfrüht vor, eine Prognose für das nächste Jahr abzugeben. Die Frage liegt eher bei unseren europäischen Partnern, ob sie dieses Gas aus Russland benötigen werden." Es sei jedoch zu hoffen, dass Europa bald ganz ohne russisches Gas auskommen werde.

Auch Leo Lehr, stellvertretender Leiter der Abteilung Volkswirtschaft in der E-Control, betonte gegenüber energate: "Prinzipiell ist der Transit über das Ende der Verträge hinaus möglich - so lange die Pipelines physisch da sind, sich die beteiligten Unternehmen einigen können und die politischen Gegebenheiten das erlauben." Die russische Gazprom habe sich zur Lieferung verpflichtet und auch die OMV habe bekannt gegeben, sich an den Liefervertrag halten zu wollen.

Leitungskapazitäten kurzfristig buchbar

Zum anderen können Gasunternehmen laut E-Control Leitungskapazitäten in der Ukraine auch kurzfristig buchen. Gazprom habe das in der Vergangenheit bereits mehrmals getan. Im Juni teilte auch das ukrainische Energieministerium mit, die Ukraine achte ihre Verpflichtungen und sei zuverlässiger Partner der EU-Staaten. "Europäische Trader können frei Transportkapazitäten im Gastransportsystem der Ukraine bestellen", so das Ministerium gegenüber der APA.

Und schließlich ist da der finanzielle Aspekt der Ukraine selbst. Ein leitender österreichischer Energiemanager, der nicht genannt werden wollte, berichtete im Gespräch mit energate von Transitgebühren an die Ukraine in Höhe eines mittleren achtstelligen Eurobetrags - pro Tag.

"Österreichs Unternehmen müssen sich vorbereiten"

Trotzdem betont Gasmarktexperte Lehr, wie wichtig es für Österreichs Unternehmen weiterhin sei, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten - auch einen russischen Lieferstopp. "Die Lieferungen hängen sehr stark von politischen Entscheidungen ab. Bei der Einspeicherung sind wir für diesen Winter auf einem guten Weg, und wenn es gut läuft, auch für den nächsten. Aber die Energieversorger müssen davon ausgehen, dass es Probleme geben kann, und sich entsprechend vorbereiten", so Lehr.

Gasspeicher: Ukraine will Europas Partner werden

Bei diesem Punkt strebt auch die Ukraine eine größere Rolle für Europa an. Das Land verfüge über bedeutende Gasspeicherkapazitäten und habe seit Kriegsbeginn 2022 viel Arbeit geleistet, so Haluschtschenko. Die Energiegesetze seien nun an europäische Standards angepasst und die Gasspeicher in der Ukraine "vollständig nach europäischer Gesetzgebung zertifiziert." Die E-Control wiederum berichtet, dass in den vergangenen Monaten die Gasflüsse aus der EU in die Ukraine gestiegen seien.

Wiederaufbau der Stromnetze - Ausbau der Atomkraft

Zuversichtlich äußerte sich der ukrainische Minister auch zu anderen Energiesektoren. Russische Angriffe hätten im vergangenen Winter 44 Umspannwerke und fast die Hälfte des ukrainischen Stromnetzes zerstört. Bisher habe die Ukraine 35 dieser Umspannwerke mit massiver westlicher Hilfe wieder instandgesetzt. Bei der Vorbereitung auf den kommenden Winter gehe es aber nicht nur um Wiederaufbau, sondern auch um neue Erzeugungskapazitäten.

Die USA seien ein zentraler Partner bei der Atomkraft. Russland habe weiterhin ein Monopol auf bestimmte Kernbrennstoffe. Die Ukraine habe jedoch bereits vor dem Krieg die Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Konzern Westinghouse begonnen und bereite nun die industrielle Produktion eigener Kernbrennstoffe vor. Auch zahlreiche Projekte rund um Windkraft und Photovoltaik seien in Arbeit. Haluschtschenko dazu: "Ich freue mich sehr, dass auch während des Krieges Chefs großer Unternehmen die Ukraine besuchen, Projekte in Bewegung sind und wir große Pläne für die Zukunft haben." /pm

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Peter Martens
Redakteur

Bei energate seit 2019 und in Österreich seit 2008 - zunächst in der Wirtschaftsredaktion der "Presse", danach beim "Industriemagazin".

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