29.03.22, 14:47 von Michaela Tix

Berlin (energate) - In dieser Woche schaut die Energiebranche besonders gespannt auf die Gasflüsse aus Russland. Die Ankündigung des russischen Präsidenten, dass Zahlungen für Importe nur noch in Rubel akzeptiert werden, lässt einen zeitnahen Lieferstopp befürchten. energate gibt einen kurzen Überblick über die rechtlichen Grundlagen zum Krisenmanagement und seine Lücken.

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Die aktuelle Fassung des "Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland" datiert auf September 2019 und wurde auf der Grundlage der europäischen SoS-Verordnung erstellt. Im dem 37-seitigen Papier sind Zuständigkeiten der Gasversorger, Netzbetreiber und Behörden sowie die Einrichtung der Krisenstäbe beschrieben. Auch die Ergebnisse der im Zweijahresrhythmus stattfindenden Übungen zum Krisenmanagement bei einer Großkatastrophe sind darin eingeflossen. Grundsätzlich unterteilt der Notfallplan in drei Krisenstufen: die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und die Notfallstufe.

Geschützte und nicht geschützte Kunden

Zu den geschützten Kunden bei einer Gasmangellage zählen Haushalte, kleinere Gewerbekunden und Fernwärmeanlagen sowie Unternehmen, die wesentliche soziale Dienste erbringen. Sie bleiben bei eventuellen Abschaltungen also zunächst außen vor. Für den Rest - größere Gewerbekunden und die Industrie - fehlt trotz jahrelanger Diskussionen noch immer eine gesetzlich geregelte Abschaltreihenfolge. Das heißt, wann die Lebensmittelindustrie, ein Reifenhersteller oder ein Vorlieferant für Medizinprodukte weniger oder gar kein Gas mehr erhält, ist nicht im Notfallplan beschrieben. Darüber berät die Bundesnetzagentur in diesen Tagen hinter geschlossenen Türen.

Für die Ausrufung der ersten Krisenstufe sind "konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise" erforderlich, dass es zu einer "erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage" kommen könnte. Bei der Alarmstufe liegt bereits eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor. Der Markt ist hier aber noch in der Lage, diese Störung selbst mit eigenen Maßnahmen in den Griff zu bekommen. In der dritten und letzten Stufe kommt es zu "nicht marktbasierten Maßnahmen", um insbesondere die Gasversorgung der geschützten Kunden sicherzustellen. Für die Ausrufung der drei Stufen ist das Bundeswirtschaftsministerium zuständig. Der Verband BDEW hatte vor wenigen Tagen die erste Stufe gefordert, aber ohne Erfolg. Das Ministerium braucht allerdings auch keinen zeitlichen Vorlauf und kann sofort Alarm- oder Notfallstufe gleichzeitig ausrufen.

Krisenteams bereits in der ersten Stufe

In der Frühwarnstufe sind insbesondere die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) gefragt. Sie geben in Abstimmung mit dem Marktgebietsverantwortlichen mindestens einmal täglich Lageeinschätzungen an das Ministerium heraus. Auch startet in der Frühwarnstufe bereits die Arbeit im eigens eingerichteten Krisenteam. Ständige Mitglieder sind dort die FNB, Trading Hub Europe als Verantwortlicher für das deutsche Gasmarktgebiet sowie die Bundesnetzagentur. Den Vorsitz übernimmt das Bundeswirtschaftsministerium oder die Regulierungsbehörde als Stellvertreter. Bei lokaler Betroffenheit sind Bundesländer oder einzelne Verteilnetzbetreiber zugegen. Als nicht ständige Mitglieder kann der Vorsitzende Vertreter der Gasspeicherbranche Versorger und Verbraucher (DVGW, BDEW, VZBV, DIHK) einladen. Auch die Stromnetzbetreiber dürfen auf Einladung hinzustoßen.

Für die Ausrufung der Alarmstufe sind gravierende Gasreduzierungen nötig, darunter beispielsweise der Ausfall wichtiger Aufkommensquellen. Die Abläufe bleiben hier noch ähnlich, die EU-Kommission wird unterrichtet. Erst in der letzten Stufe treten die Bundesnetzagentur und die Bundesländer als hoheitlicher Lastverteiler auf. In dem Fall reichen Maßnahmen nach § 16 Abs. 1 EnWG nicht mehr aus. Regelenergie ist nicht mehr ausreichend verfügbar und der Regelenergiehandel wird deshalb ausgesetzt. Die betroffenen Gasversorger müssen jetzt täglich Prognosen und Lastflussdaten gemäß der SoS-Verordnung zur Verfügung stellen. Die Bundesnetzagentur darf beispielsweise höhere Ausspeicherungen aus Gasspeichern anordnen, sowie Verbrauchreduktionen oder Abschaltungen der Industriekunden. Auch die Substitution von Erdgas durch andere Brennstoffe und die Einschränkung der grenzüberschreitenden Gasflüsse sind in dieser Krisenstufe möglich. /mt

Portrait von Michaela Tix
Michaela Tix
Redakteurin

Ich bin seit 2003 Redakteurin im energate-Team und leite das Team Gas & Wärme. Davor war ich mehrere Jahre als freie Journalistin bei der Kölner Rundschau.

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