07.02.22, 17:00

Karlsruhe (energate) - Netze BW-Chef Christoph Müller schlägt ein Expertengremium für die Bundesnetzagentur vor. Das könnte die Anzahl der Gerichtsverfahren mit Netzbetreibern reduzieren, argumentiert er im Gespräch mit energate. Seine Forderung reiht sich in die Debatte um die Zukunft der Bundesnetzagentur ein, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) die politische Unabhängigkeit der Behörde kritisiert hatte. 

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energate: Der EuGH hat die Bundesnetzagentur in einem Urteil für nicht unabhängig genug erklärt. Sie fordern nun ein unabhängiges Expertengremium für die Bundesnetzagentur. Was soll das leisten?

Müller: Mit seinen jüngsten Entscheidungen zum Eigenkapitalzins und generellen sektoralen Produktivitätsfaktors für Gasnetzbetreiber (Xgen) hat der Bundesgerichtshof (BGH) deutlich gemacht: Der Gerichtssaal ist nicht der Ort, um Konsultationen im Regierungsumfeld fortzuführen; der Gesetzgeber hat die inhaltlich-fachliche Arbeit an die Bundesnetzagentur delegiert. Dies bedeutet aber auch, dass die inhaltlichen Aspekte der Beschlüsse keiner ernsthaften fachlichen Prüfung unterzogen werden können und es keinen effektiven Rechtsschutz für Netznutzer und/ oder -betreiber mehr gibt. Keine befriedigende Situation, wie die zahlreichen behördlichen Festlegungen der vergangenen Jahre zeigen, die die vorausgegangenen Konsultationsentwürfe fast wortgleich übernommen haben - allen inhaltlich guten Hinweisen im Konsultationsverfahren zum Trotz.

Allerdings verstehe ich den BGH - die inhaltliche Arbeit zu einer Regulierungsfestlegung ist im Rahmen eines Gerichtsverfahrens kaum zu leisten. Ein Richter hat kaum eine Chance, Argumente zur Anwendung von ökonometrischen Schätzverfahren, zur Bildung eines Netzentgeltdeflators oder zur korrekten Umsetzung der Berechnung eines Törnquist-Index sachgerecht einzuordnen und nach ökonomischen Standards korrekt abzuwägen. Es werden also seitens der Gerichte immer wieder Gutachter eingeschaltet. Diese sind für die zunehmend spezieller werdenden Themen oft nur schwer zu finden und werden häufig ad hoc berufen - sie müssen sich also regelmäßig neu in die Thematik einarbeiten. Diese institutionelle Lücke könnte das von uns vorgeschlagene Expertengremium füllen.

energate: Wie sollte dieses Gremium aufgestellt sein und wie stellen Sie sich dessen Arbeit vor?

Müller: Das Expertengremium muss eine gewisse Infrastruktur haben, da es ja gerade keine ad hoc zusammengewürfelte Gutachtertruppe sein soll. Neben den eigentlichen Expertinnen und Experten, die nach unserer Vorstellung aus dem akademischen beziehungsweise universitären Bereich kommen und für eine bestimmte Zeitspanne für das Gremium tätig sind, braucht es eine Geschäftsstelle und einen Mitarbeiterstab. Das Gremium sollte Auskunftsrechte gegenüber der Bundesnetzagentur und den Netzbetreibern haben und das Recht, Anhörungen durchführen zu dürfen. Es sollte befugt sein, aus eigenem Ermessen oder auf Antrag von Verfahrensbeteiligten Beschlüsse der Bundesnetzagentur gutachterlich zu bewerten und sie zur neuerlichen Prüfung an die Behörde zurückzuverweisen. Da die Stellungnahmen des Gutachtergremiums für alle Verfahrensbeteiligten eine Indikation darstellen würden, wie die zugrundeliegenden ökonomischen Fragestellungen zu beurteilen sind, würde ich erwarten, dass es dann auch deutlich weniger Gerichtsverfahren gibt - aktuell klagen ja alle Netzbetreiber und Netznutzer wieder gegen die Eigenkapitalzins-Festlegung in vermutlich mehr als 1.000 Gerichtsverfahren. Die Gerichte könnten sich dann wieder auf ihre eigentliche Expertise, die Beurteilung der rechtlichen Aspekte eines Verwaltungsaktes, konzentrieren.

energate: Wie wird die Bundesnetzagentur ihrer Meinung nach in drei oder vier Jahren aussehen?

Müller: Schwierige Frage - wenn man die Folgen des EuGH-Urteils durchdenkt, kommen ja verschiedene strukturelle Themen hoch: Wenn die Behörde als solches unabhängig ist, braucht es dann eigentlich noch gegenüber dem Präsidenten unabhängige Beschlusskammern, also eine Unabhängigkeit in der Unabhängigkeit? Wie könnten interne Governancestrukturen und interne Kontrollmechanismen für die Behörde aussehen? Müssen zusätzliche Transparenzvorgaben gemacht werden und die Konsultationsverfahren eine verbindliche gesetzliche Ausgestaltung erhalten? Sollten regelmäßige Evaluationsprozesse gesetzlich verankert werden?

Über diese Fragen ist jetzt sicherlich vertieft nachzudenken. Um aber den im EuGH-Urteil explizit erwähnten Rechtsschutz sicherzustellen, bedarf es nach meiner Meinung einer neuen institutionellen Form für die fachliche Diskussion von Behördenentscheidungen. Dies wird hoffentlich das von mir beschriebene Expertengremium sein.

Die Fragen stellte Katharina Johannsen.

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