22.11.21, 17:19 von Rainer Lütkehus

Brüssel (energate) - Die EU-Kommission will Wasserstoff mit der kommenden, vierten Gasmarktregulierung fördern. An dieser Stelle zeigt sie sich bei den Entflechtungsregeln flexibler. Das geht aus Entwürfen der EU-Kommission zur neuen Gas-Richtlinie und -Verordnung hervor, die der Redaktion vorliegen. So sollen für eine Übergangszeit bis 2030 H2-Produzenten auch Wasserstoffnetze betreiben dürfen, ohne die beiden Aktivitäten eigentumsrechtlich entflechten zu müssen. Hier wird also eine Quersubventionierung zumindest temporär erlaubt. Diese könne einen gesellschaftlichen Nutzen bringen, heißt es in dem vorliegenden Entwurf. Ausgeschlossen müsse aber sein, dass sie von Netznutzern in anderen EU-Länder mitfinanziert werde. Erlaubt sollen sogar langfristige Kapazitätsverträge sein, und zwar mit einer maximalen Laufzeit von 20 Jahren. Diese Angabe ist im Verordnungsentwurf aber in Klammern gesetzt.

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Anders als beim Erdgaspaket 2009 geht es in der kommenden Gasmarktreform neben der vertikalen aber auch um horizontale Entflechtung (Unbundling). Das bedeutet, dass nicht nur die Aktivitäten Versorgung und Transport grundsätzlich getrennt werden müssen, sondern auch der Transport von Erdgas und Wasserstoff. Demnach sollen Fernleitungsnetzbetreiber Erdgas und Wasserstoff nur transportieren dürfen, wenn sie für beide Aktivitäten eine unabhängige Vermögensbasis ("regulated asset") einrichten, das heißt, ihr Vermögen in Erdgasnetzinfrastruktur von dem in Wasserstoffnetzinfrastruktur trennen. Da die "regulated assets" für die Regulierung der Netztarife ausschlaggebend sind, ist somit eine Quersubventionierung der Verbraucher, die das Erdgas- sowie das Wasserstoffnetz nutzen, ausgeschlossen. Letzteres wollen auch die Regulatoren (energate berichtete), aber die Erdgasbranche sieht dadurch den Hochlauf des Wasserstoffmarktes gefährdet (energate berichtete). Auffällig ist, dass die EU-Kommission diesmal die Unbundling-Vorschriften nicht wie 2009 in eine EU-Richtlinie geschrieben hat, sondern in eine EU-Verordnung, die unmittelbar EU-weit gilt.

Für das Management des grenzüberschreitenden Wasserstoffnetzes und für den Handel darin soll ein europäisches Netzwerk von Wasserstoffnetzbetreibern (ENNOH) geschaffen werden. Bis dieses steht, soll die EU-Kommission den Handel koordinieren. Das Beimischen von Wasserstoff können die Mitgliedstaaten für ihr Erdgassystem zulassen. Für die Grenzkoppelstellen soll es dafür EU-einheitliche Obergrenzen geben, die die Fernleitungsnetzbetreiber akzeptieren müssen.

Bilanzzonen sollen Verteilernetze einschließen

Der Zugang Dritter zu den Netzen soll laut der EU-Verordnung nach dem Entry-Exit-System organisiert werden - auf Fernleitungs- wie auf Verteilernetzebene. Damit soll das Verteilernetzsystem in die Bilanzierungszone integriert werden. Das würde ein "Level playing field" für erneuerbare und CO2-arme Gase schaffen, die am Verteiler- oder Fernleitungsnetz angeschlossen seien, heißt es. Grundsätzlich sollen die Netznutzer feste Kapazität an den Einspeise- und Ausspeisepunkten desselben Entry-Exit-Systems buchen können. Die Organisation der Zuteilung der Kapazität zwischen dem Fernleitungs- und dem Verteilersystem wird den Mitgliedstaaten überlassen. Verantwortlich für den Bilanzausgleich sollen die Netznutzer sein.

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Weiterhin sieht die Verordnung vor, nach dem Vorbild der EU-Stromverordnung aus dem Jahre 2019 eine europäische Gasverteilerorganisation (Gas DSO Entity) zu schaffen. Diese soll zusammen mit dem europäischen Verband der Fernleitungsnetzbetreiber, Entsog, Netzwerk-Codes zur Ermöglichung des grenzüberschreitenden Handels erarbeiten.

Energiegemeinschaften können als Verteilnetzbetreiber fungieren

In Analogie zur EU-Stromrichtlinie aus dem Jahre 2019 soll die neue Gasrichtlinie Konsumenten und Prosumer im Gasmarkt stärken. Prosumer sollen von niedrigeren Netztarifen profitieren, wenn sie erneuerbare oder CO2-arme Gas einspeisen. Herkunftsnachweise sollen ihnen den Verkauf erleichtern. Hierzu stehen aber noch delegierte Verordnungen zur Erneuerbaren Richtlinie aus dem Jahre 2018 (RED 2) über deren Nachhaltigkeit aus, die die EU-Kommission noch dieses Jahr vorstellen will, wie energate auf Anfrage erfuhr. Auch ermächtigt die neue Gasrichtlinie die Mitgliedstaaten, Energiegemeinschaften den Status als Verteilnetzbetreiber zu erteilen, wobei diese dann aber auch deren Pflichten zu tragen hätten. Verbraucher sollen ihren Anbieter ab 2026 innerhalb von 24 Stunden gebührenfrei wechseln können.

Die Kommission will die vierte Reform des europäischen Gasmarktes offiziell am 14. Dezember vorstellen. Durch die Reform sollen die Gas-Binnenmarktregeln um Biogas, Biomethan, grünen und entkarbonisiertem Wasserstoff sowie synthetisches Methan ergänzt werden. Zum  Gasmarktpaket gehört auch die Gasversorgungssicherheits-Verordnung (Gas-SOS). Hier erwägt die EU-Kommission angesichts der derzeitigen Energiepreiskrise eine Revision, etwa mit zentralem Gaseinkauf auf freiwilliger Basis und/oder einer strategischen Gasreserve nach dem Vorbild des Ölmarktes. Hinzu kommt ein Gesetz zur Verminderung von Methanemissionen, vom dem vor allem der Erdgassektor betroffen sein wird. /rl

Korrektur: In der ersten Version des Artikels hieß es, dass die europäischen Fernleitungsnetzbetreiber für eine Übergangszeit bis 2030 Wasserstoffnetze betreiben können, ohne diese Aktivität eigentumsrechtlich vom Gastransport entflechten zu müssen. Dies ist in dieser Form nicht korrekt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.