29.07.19, 17:00 von Daniel Zugehör

Berlin (energate) - In einer Serie beleuchtet energate, wie Stadtwerke im aktuellen Spannungsfeld von Dezentralisierung, Dekarbonisierung und Digitalisierung agieren. Im Fokus stehen dabei Strategien und Herausforderungen, aber auch neue Geschäftschancen. Heute im Interview: Kerstin Busch, Sprecherin der Geschäftsführung der Berliner Stadtwerke.

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energate: Frau Busch, im April sind Sie an die Spitze der Berliner Stadtwerke gerückt, nachdem Sie zuvor bereits Teil der Geschäftsführung waren. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Kerstin Busch: Am 1. Juli haben wir Geburtstag gefeiert, wir sind jetzt quasi im Vorschulalter und haben noch viel zu tun. Unseren Bekanntheitsgrad zu steigern ist eines der Hauptziele. Wir wollen durch unsere Arbeit zeigen, dass die Energiewende in Berlin angekommen ist. Die Bürger haben vor vielen Jahren einen medial viel beachteten Bürgerentscheid unternommen. Aber, dass es uns jetzt gibt, ist noch nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen.

energate: Ihr Unternehmen hat erst 2017 den operativen Betrieb aufgenommen. Wie viele Kunden beliefern Sie mittlerweile und wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie heute?

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Busch: Im Moment versorgen wir circa 12.500 Haushalte mit Strom. Aber wir haben allein in den vergangenen sechs Monaten doppelt so viele Kunden eingeworben wie im gesamten Vorjahr zusammen. Das liegt unter anderem am Thema Klimawandel, das aktuell viele Menschen mobilisiert. Wir produzieren in der Stadt mehr erneuerbaren Strom, als wir an die Kunden verkaufen. Dennoch bleibt unsere Hauptaufgabe als Berliner Energiewendehebel die Unterstützung des Landes bei der Erzeugung von erneuerbarer Energie und bei der Energieeinsparung. Derzeit beschäftigen die Berliner Stadtwerke 27 Mitarbeiter, bis Ende des Jahres werden es über 30 sein.

energate: Ihr Unternehmen vertreibt ausschließlich Ökostrom. Wie viele Fotovoltaikanlagen und wie viele Windkraftanlagen betreiben Sie derzeit?

Busch: Weil wir ausschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen sind wir authentisch und glaubwürdig - zum Beispiel, wenn wir Anlagen auf Mietshäusern oder Schulen errichten. So erleben Bewohner oder die Schüler, direkt wie das funktioniert. Zurzeit haben wir Solaranlagen mit insgesamt rund 8,7 MW Leistung, davon rund 3,6 MW an Mieterstromanlagen, installiert.

Dazu kommen in diesem Jahr noch Projekte mit der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) beziehungsweise ihrer Tochter, der Berliner Energiemanagement GmbH (BEM), im Umfang von rund 500 kW, sowie mit Wohnungsbaugesellschaften, Wohnungsgenossenschaften und Bezirken. Das zusammengenommen werden wir, die Stadtwerke, Ende 2019 bei etwas mehr als 10 MW liegen - und das bei momentan rund 109 MW installierter Fotovotaikleistung in Berlin insgesamt. In den vergangenen Jahren hat in der Stadt niemand mehr gebaut als wir.

Bei der Windenergie liegen wir unverändert bei 20,4 MW. Allerdings werden wir uns an einer Windkraftausschreibung mit 9 Anlagen im August beteiligen. Dann könnten noch mal rund 30 MW dazukommen, wenn wir den Zuschlag erhalten - wovon wir ausgehen. Die Inbetriebnahme ist dann für nächstes Jahr geplant.

energate: Schreckt Sie nicht die allgemein schwierige Lage bei den Genehmigungsprozessen für Windparks, die den Ausbau zuletzt gebremst haben?

Busch: Wenn wir schreckhaft wären, wären wir in diesem Geschäft vermutlich falsch. Wir nehmen aber wahr, dass es eine gewisse Widersprüchlichkeit gibt: Erneuerbare Energien wollen die Menschen, aber das Windrad soll bitte woanders stehen. Diese Haltung beeinflusst auch die Genehmigungsprozesse, ganz klar. Wir stellen uns dem mit größtmöglicher Transparenz und Offenheit. Zudem sehen wir Potenzial im Bereich des Repowerings.

energate: Frau Busch, Sie verfügen über langjährige Erfahrung in der Energiewirtschaft. Wie muss ein Stadtwerk vor dem Hintergrund der Energiewende heutzutage agieren, um erfolgreich zu sein - Stichwort Digitalisierung?

Busch: Digital, lokal und erneuerbar - damit sind wir gut aufgestellt. Ich sehe uns zukünftig auch als Mittler, zum Beispiel für kommende Peer-to-peer-Projekte. Wir wollen dabei aktuell selbst keine Blockchain anbieten, würden aber zum Beispiel Verträge ausarbeiten oder Reststrom liefern. Im Gebäudebereich haben wir über unsere Mieterstromprojekte schon einen Anker. Ein Thema dabei könnte sein, Daten und Energieflüsse im Gebäude zu managen.

Im Mittelpunkt müssen die Prozesse stehen. Die müssen schnell und schlank ablaufen. Als junges Unternehmen sind wir im Vorteil, weil wir sie neu etablieren können. Nicht wie ein Stadtwerk, das schon viele Jahrzehnte am Markt ist und dabei seine Beschäftigten erst mal mitnehmen muss. Bildlich gesprochen: Unsere Beschäftigten sitzen alle schon im Boot, wenn wir losrudern, wir haben eine andere Kultur. Man nennt uns nicht umsonst zuweilen noch ein Start-up.

Eine Aufgabe für 2020 wird sein, weiter der Motor der Klimawende in Berlin zu sein, Kooperationen einzugehen und Kundenmehrwerte zu schaffen. Entscheidend wird sein, dass sich unsere Kunden aufgehoben fühlen. Wir wollen zum Beispiel stärker unsere Daten analysieren, um eine individuellere Kundenansprache zu realisieren: Mieterstromkunden werden anders angesprochen als Haushaltskunden.

energate: Die Stadt Berlin will bis 2050 klimaneutral werden. Ihr Unternehmen soll dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass das Ziel erreicht wird?

Busch: Ehrlich gesagt, glaube ich, das werden wir schon früher erreichen. Viele Anzeichen sprechen dafür. Und wir sind mit mittlerweile 30 Mio. Euro Investitionen in Fotovoltaik, Windenergie, Blockheizkraftwerken und Dienstleistungen einer derjenigen, die diese Entwicklung vorantreiben. Aber es müssen sich auch andere Player stärker beteiligen und natürlich auch der Verkehrssektor. Außerdem ist der öffentliche Druck heute viel höher. Die Bewegung kommt von den Menschen selbst, nicht mehr aus der Politik.

energate: Ihr Vorgänger, Herr Andreas Irmer, hatte im Interview mit energate Ende 2017 ausgeführt, dass die Berliner Stadtwerke rund 3.500 Liegenschaften auf ihr energetisches Optimierungspotenzial hin untersuchen wollen - darunter Polizeistationen, Feuerwehren, Verwaltungen, Schulen und Kitas. Wo stehen Sie bei diesem Vorhaben aktuell?

Busch: Das ist ein fortlaufender Prozess. Wir gehen vor den komplizierten Fällen zunächst die "low hanging fruits" an. Projekte wie zum Beispiel die Fotovoltaikanlage auf der Justizvollzugsanstalt Heidering mit 960 kW Leistung sind aus diesem Prozess heraus entstanden. Die Rohdaten mit Informationen etwa zur Dachneigung aller Liegenschaften haben wir schon angeschaut, tatsächlich begangen wurden einige Hundert.

Ein weiteres, erfolgreich umgesetztes Projekt ist eine Polizeistation mit 36 Gebäuden in der Friesenstraße, wo wir ein Wärmekonzept umsetzen. Im Ergebnis konnten wir den Energieverbrauch dort um 40 Prozent senken. Die Prüfung hatte hier nicht nur großes Potenzial, sondern auch sofortigen Handlungsbedarf angezeigt. Weiteres Potenzial in Berlin bieten die Wohnungsbaugesellschaften (WBG). Von den sechs WBG der Mieterstromplattform haben wir rund 1.000 Datensätze bekommen und analysiert - mit einem hohen Fotovoltaikpotenzial von mehr als 20 MW auf den Dächern. Wenn wir das mit Partnern in den nächsten Jahren umsetzen können, wäre das gut.

energate: Sie haben ein spezielles Programm für Stadtbezirke im Portfolio, bei dem die Bezirksämter gegen die Zahlung eines symbolischen Betrags ihre Dächer für die Erzeugung von Solarstrom verpachten können. Wie wird das angenommen?

Busch: Inzwischen gut! Die Bezirkspakete adressieren Gebäude in Händen der Bezirke wie Rathäuser oder Schulen. Der Stein ist hier ins Rollen gekommen und wir stehen mit allen Bezirken in Verhandlungen. Mit dreien davon wurde bereits eine Vereinbarung unterzeichnet. Damit haben wir mehr als 1 MW unter Vertrag. Und die ersten Anlagen sind bereits montiert.

energate: Mal von der reinen Stromerzeugung und -lieferung abgesehen. Sind andere Angebote, zum Beispiel in den Bereichen Mobilität oder Smart Home, in der Pipeline?

Busch: Wichtig aus meiner Sicht ist die Sektorkopplung. Das heißt, dass Strom zu Wärme wird oder zu Mobilität. Solche Angebote werden wir auflegen. Es gibt auch schon konkrete Kooperationsanfragen. Alles Weitere muss aber noch unter Verschluss bleiben.

energate: Auf dem Gelände des Flughafens TXL soll ab 2021 ein neues Stadtquartier entstehen, die Urban Tech Republic. Dafür wollen die Berliner Stadtwerke gemeinsam mit Eon Wärme und Kälte über ein neuartiges Niedrigtemperaturnetz liefern. Was ist das Neue an der Infrastruktur?

Busch: Ein Low-Exergie-Netz (kurz Low-Ex-Netz) ist ein Niedrigtemperaturnetz, das je nach Bedarf durch Anpassung der Netztemperaturen Wärme oder Kälte bereitstellt. Wenn es so heiß ist wie jetzt gerade, kann den Gebäuden Wärme entzogen und über das Netz abgeführt werden. Im Winter ist es wie eine normale Wärmeversorgung. Da die Wärmeverluste in direktem Zusammenhang mit den Netztemperaturen stehen, werden beim Low-Ex-Netz die Netzverluste niedrig gehalten. Damit steigt der nutzbare Anteil der erzeugten Wärme. Durch die niedrigen Temperaturen werden andere, nachhaltige Energiequellen wie Geothermie und Abwasserwärme einsetzbar, die bei konventionellen Wärmenetzen wegen ihres eher geringen Temperaturniveaus nicht optimal genutzt werden können.

energate: Glauben Sie, überhaupt pünktlich mit dem Bau des Quartiers beginnen zu können?

Busch: Die Zeitschiene ist durchgeplant. Sie setzt voraus, dass der neue Flughafen BER im Jahr 2020 auch eröffnet und im Frühjahr 2021 die Konzession für das Wärmenetz beginnt. Wir für unseren Teil gehen davon aus, dass wir pünktlich anfangen und fertig werden können. Es hieß ja in der Presse: "Das Monster ist final gezähmt", also die Entrauchungsanlage. Unsere Planungen laufen derzeit also normal weiter.

energate: Eine letzte Frage, haben Sie mittlerweile einen Nachfolger für Andreas Schmitz gefunden, der den Posten des kaufmännischen Geschäftsführers kommissarisch besetzt?

Busch: Der Auswahlprozess ist so gut wie abgeschlossen. Mit einer kurzfristigen Entscheidung ist zu rechnen. Herr Schmitz macht das sehr gut und ist im Moment weiter gesetzt.

energate: Vielen Dank für das Gespräch!