Berlin (energate) - Nur einen Tag nach den energiepolitischen Eckpunkte-Beschlüssen der Koalition präsentiert das Wirtschaftsministerium das Weißbuch zur Strommarkt-Reform. "Das Weißbuch buchstabiert die Eckpunkte zum Strommarkt 2.0 ohne Kapazitätsmechanismus aus", erklärte Wirtschaftsstaatssekretär Rainer Baake vor der Presse in Berlin. Die generelle Leitlinie sei es, den Strommarkt bei den Themen Flexibilität und Versorgungssicherheit auf die wachsende Erneuerbaren-Erzeugung anzupassen. Kernelement ist, dass am Strommarkt auch hohe Preisspitzen zugelassen werden, um Investitionen in flexible Kapazitäten bei Kraftwerken, Last- und Nachfrage-Management sowie Speichern zu stärken. "In Deutschland werden wir die freie Preisbildung gesetzlich garantieren, auch unsere Stromnachbarn haben sich dazu in einem Abkommen verpflichtet", sagte Baake.
Das Scharnier, wo Angebot und Nachfrage über den Preis zusammenkommen, sind die Bilanzkreis-Verantwortlichen. "Wir stärken die Bilanzkreistreue. Es darf keine billigen Ausweichmöglichkeiten geben. Wer Angebot und Nachfrage nicht ausgleicht, muss dafür zahlen", sagte Baake. Eine Kapazitätsreserve, die selbst nicht am Markt teilnimmt, soll den Strommarkt 2.0 für den Fall absichern, das Angebot und Nachfrage auch bei Höchstpreisen nicht zusammenkommen. Zunächst werden dort CO2-intensive Braunkohle-Kraftwerke von 2.700 MW gegen eine milliardenschwere Vergütung stillgelegt (energate berichtete). Dann wird sie bis 2023 über Auktionen auf 4.500 MW ausgebaut. Ansatz sei es, zunächst fünf Prozent der Erzeugungskapazitäten als Reserve vorzuhalten. "Dann sammeln wir Erfahrungen. Ich selbst bin sicher: Wir werden die Reserve nicht aufrufen", sagte Baake. Er erwarte übrigens, dass sich die EU-Wettbewerbshüter für die Kapazitätsreserve interessieren werden. "Wir werden da gute Chancen haben, da es sich um eine zulässige Beihilfe handelt. Aber länger als zwei Minuten wird darüber schon zu reden sein."
Um mehr Flexibilität zu generieren, ist ein Katalog von 20 Einzelmaßnahmen vorgesehen. Ein zentraler Baustein ist der Umbau der Netzentgeltsystematik. So werden Großverbraucher bislang für eine gleichmäßige Stromentnahme mit reduzierten Netzentgelten belohnt. Diese Regelung blockiert Flexibilitätspotenziale, über die die Industrie möglicherweise verfügt. "Wir wollen diese Regelung öffnen, um intelligentes Lastmanagement zu ermöglichen", sagte Baake. Geplant ist auch, die Sonderregelungen für vermiedene Netzentgelte für Neuanlagen ab 2021 abzuschaffen. Nutznießer sind vor allem dezentral einspeisende KWK-Anlagen. Sie bekommen den Netzentgeltanteil für die Übertragungsnetze ausgezahlt, da sie diese Netze nicht belasten. Auch die dezentrale Erneuerbaren-Erzeugung ist indirekt betroffen. Ihre vermiedenen Netzentgelte werden bislang dem Umlagekonto gutgeschrieben und dämpfen die EEG-Umlage. Weiterhin will das Wirtschaftsministerium die Kosten für den Übertragungsnetzausbau bundeseinheitlich umlegen.
Das Wirtschaftsministerium will das Weißbuch bis Ende August konsultieren lassen. Dann soll ein Artikelgesetz zum Strommarkt folgen, das im Herbst ins Kabinett geht und ab 2017 in Kraft tritt. /gk