Kollege Robot: Mehr Effizienz mit RPA | emw

Von Jochen Herrmann, Director Energy & Resources, Baringa Partners

Auch in der Energiewirtschaft setzen sich immer mehr Unternehmen mit den konkreten Einsatzmöglichkeiten von Robotic Process Automation – kurz RPA – auseinander. Erste Projekte zur Implementierung sogenannter „Robots“ werden realisiert, um bestehende Optimierungs- und Effizienzpotenziale zu realisieren. Was sind die Herausforderungen, was die Erfolgsfaktoren für solche Projekte?

IT-Landschaften und operative Abläufe sind bei vielen Energieversorgern sukzessive gewachsen. Neue Verfahren, Services oder Angebote wurden entwickelt und in den Markt gebracht. Nicht immer wurden dabei entlang der Prozesskette alle Schnittstellen sauber definiert und beteiligte IT-Systeme integriert. Insbesondere wenn mehrere Fachbereiche und Systeme involviert waren, entstanden komplexe Schnittstellen, Medienbrüche und manuelle Arbeitsabläufe. Solche Prozessstrukturen sind ein Risikofaktor im digitalisierten Wettbewerbsumfeld, denn sie sind zeitaufwendig, haben häufig einen hohen manuellen Anteil und sind dadurch fehleranfällig.

Einen Ausweg bietet RPA, eine technische Lösung, mit der sich regelbasierte und manuelle Prozesse vergleichsweise schnell system- und abteilungsübergreifend automatisieren lassen. Mit RPA können Energieunternehmen gezielt ihre Effizienz im Front-, Middle- und Backoffice steigern. Mitarbeiter gewinnen dadurch wertvolle Zeit und ihr Fokus verschiebt sich von sich wiederholenden ermüdenden Aufgaben hin zu wertstiftenden Tätigkeiten. So werden Arbeitsabläufe effizienter gestaltet und die Mitarbeiterzufriedenhet steigt. Ein weiterer Mehrwert: Robots erledigen die Aufgaben kontinuierlich und mit gleichbleibender Qualität. Dies sorgt für geringe Fehlerquoten und eine prüfungskonforme Dokumentation, was die operativen Risiken signifikant senkt. Mögliche Fehler im automatisierten Prozessablauf werden unmittelbar an den jeweiligen Spezialisten zur Bearbeitung weitergeleitet.

Aus dem Leben eines Robots
RPA automatisiert menschliche Arbeitsschritte abteilungsübergreifend. Insbesondere repetitive, regelbasierte Prozesse wie bei der Rechnungsstellung oder im Bereich Reconciliation/Validierung bieten in der Energiewirtschaft weitreichenden Nutzen durch RPA, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen.

Rechnungsstellungsprozess
Ein Energieversorger setzt eine Robotic-Process-Automation-Lösung für die automatisierte Rechnungsstellung ein. Bevor Kollege Robot die Aufgabe vollständig übernehmen konnte, wurde der Prozess optimiert. Er umfasst nun die folgenden sechs Arbeitsschritte:

1. Der Robot meldet sich automatisch im Portal an und öffnet das verwendete Portfolio-Tool.
2. Hier stößt er die Vertragserstellung durch automatisches Einlesen der Rechnungsdaten an.
3. Der Robot nutzt ein standardisiertes Skript, um Vertrags- und Istwert zu vergleichen.
4. Die auf dieser Basis generierten Rechnungsdaten werden anschließend auf dem Laufwerk gespeichert.
5. Die aktuelle Monatsrechnung wird mit der des Vormonats im Excel-Format zusammengeführt.
6. Das System verschickt die neue Rechnung vollautomatisch.

Neben einem enormen Zeitgewinn profitiert der Energieversorger davon, dass eine manuelle Rechnungsprüfung nicht mehr erforderlich ist. Was im Gesamtprozess vormals Mitarbeiterkapazitäten im Umfang von zwei bis drei Tagen pro Monat erforderte, läuft nun automatisiert ab – mit einer Zeitersparnis von mehr als 60 Prozent.

Reconciliation
Die Validierung von Daten aus unterschiedlichen internen und externen Quellsystemen zur Identifizierung und Klärung von Abweichungen stellt viele Energieunternehmen vor große operative Herausforderungen. Die Folge sind aufwendige und zeitintensive Reconciliation-Prozesse, die vor allem durch manuelles Generieren von Dateninputs und Analysen geprägt sind.

Der Einsatz von Robots ermöglicht in diesem Fall die

-  Automatisierung der systemübergreifenden Datengenerierung. 
-  Eliminierung von „Copy and Paste“-Aktivitäten.
-  Datenkonsolidierung und Delta-Ermittlung auf Knopfdruck.
-  Durchführung von ersten Analysen sowie ein automatisches Verteilen von Analyse- und Klärungsaufgaben an die relevanten Mitarbeiter.

Hürden überwinden
Mit RPA lassen sich operative und standardisierte Prozesse deutlich effizienter und qualitativ hochwertiger gestalten. Der Nutzen für ein Unternehmen hängt von mehreren Faktoren ab. Ganz entscheidend ist die Prozessauswahl: Besonders gut geeignet sind regelmäßig in großer Zahl wiederholte operative Prozesse mit mehreren Nutzern. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist eine enge Zusammenarbeit von Fachabteilungen und der IT-Abteilung. Denn nur so lässt sich die Gefahr einer sogenannten Schatten-IT ausschließen und sicherstellen, dass spätere Software-Updates oder Release-Änderungen die Funktionsweise des Robots nicht beeinflussen oder gar verhindern. Eine agile Robot-Entwicklung sorgt zudem schnell für Prozessverbesserungen. So lässt sich der Mehrwert von RPA zeitnah realisieren.

Besonders erfolgskritisch ist die Art und Weise, wie der Robot in das Unternehmen integriert wird. Er sollte idealerweise als Teil des Teams angesehen werden, mit dem gemeinsame Ziele erreicht werden. Das verlangt Training und Führung sowie einen kulturellen Wandel im Unternehmen, damit die fundamentalen Veränderungen der Arbeitsweisen akzeptiert werden. Mitarbeiter müssen also frühzeitig in die Entwicklung eingebunden und mitgenommen werden. Transparenz ist dabei Trumpf, denn es gilt die Vorteile der Veränderung gegenüber den Mitarbeitern nachvollziehbar darzulegen.

Erste Schritte machen
Die Einsatzmöglichkeiten von RPA sind nahezu unerschöpflich. Daher stehen viele Energieversorger vor der Herausforderung, geeignete Prozesse zu identifizieren und zu priorisieren. Nicht selten fehlen die geeigneten Mitarbeiter und auch das Know-how, um passende Ansätze zu erkennen. Unternehmensberatungen wie Baringa Partners unterstützen dabei, eine nachhaltige RPA-Strategie und die dazu passende Governance-Struktur festzulegen und zu etablieren sowie die dafür geeigneten Tools auszuwählen.

Bei der Umsetzung ist darauf zu achten, dass Unternehmen mit Prozessen beginnen, die bereits standardisiert und End-to-End dokumentiert sind. Dabei ist der Digitalisierungsgrad eines Prozesses zu berücksichtigen und zu prüfen, ob regelbasierte Entscheidungswege für den Einsatz von Robots sprechen. Weitere Entscheidungskriterien für die Auswahl von Prozessen sind die Zahl der beteiligten Schnittstellen zwischen den Systemen sowie die damit verbundenen Logins und Applikationen. Denn hier ist das Potenzial in Bezug auf Fehlervermeidung und Zeitersparnis besonders groß. Tägliche Prozesse sind zudem höher zu priorisieren als etwa monatlich oder nur jährlich stattfindende Prozesse. Nicht zuletzt ist im Auswahlprozess die Frage relevant, wie hoch beziehungsweise niedrig die Wahrscheinlichkeit für Updates der eingebundenen Systeme ist.

Erfahrene Berater ziehen noch weitere Kriterien aus dem Unternehmen heran, um zu priorisieren: Bestehen etwa Ressourcenengpässe in einzelnen Abteilungen oder bieten viele manuelle Tätigkeiten ein hohes Entlastungspotenzial der Mitarbeiter? Prioritäten werden dann über ein Scoring der Prozesse festgelegt. Unternehmensberatungen bieten hier Tools an, um Projekte auszuwählen. Sie unterstützen auch im weiteren Projektverlauf, wenn es um die Auswahl des richtigen IT-Partners geht.

Schnell zum Erfolg
Das Potenzial, das sich durch eine Automatisierung von operativen Prozessen durch RPA ergibt, ist bei vielen Energieversorgern sehr groß. Allerdings lässt sich nicht jedes im Unternehmen aufgespürte Effizienzproblem auf diese Weise lösen. Es ist essenziell, in einem ersten Schritt die bestehenden Optionen zu evaluieren, diese zu priorisieren und sich rechtzeitig mit der benötigten unternehmensweiten Governance zu befassen.

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